Das Spenden - Warum wir Menschen teilen
Description
Im Jahre 2022 wurden in Deutschland etwa 5,67 Milliarden Euro privat gespendet. Jeder zweite Deutsche hat schon einmal Geld für einen guten Zweck verschenkt. Warum tun wir das? Warum geben Menschen etwas von ihrem Besitz ab? Setzt man sich mit den Ursachen und der Geschichte des Spendens auseinander, so lernt man viel darüber, wer wir eigentlich sind. Autor: Andreas Hauber (BR 2023)
Credits
Autor dieser Folge: Andreas Hauber
Regie: Irene Schuck
Es sprachen: Katja Amberger
Technik: Andreas Lucke
Redaktion: Bernhard Kastner
Im Interview:
Pfarrer Hans Lindenberger, ehem. Direktor des Caritasverbandes i.d. Diözese München-Freising;
Franca Parianen, Neurowissenschaftlerin, Berlin;
Prof. Mario Gollwitzer, Psychologe, München
Diese hörenswerten Folgen von radioWissen könnten Sie auch interessieren:
Barmherzigkeit - Wiederentdeckung einer Tugend
JETZT ANHÖREN
Sich verschwenden … - Der Zauber der Großzügigkeit
JETZT ANHÖREN
Literaturtipps:
Parianen, Franca, Teilen und Haben – Warum wir zusammenhalten müssen, aber nicht wollen, Dudenverlag, Berlin 2021.
Schneider, Bernhard, Christliche Armenfürsorge- von den Anfängen bis zum Ende des Mittelalters, Verlag Herder, Freiburg-Basel-Wien, 2017.
Und noch eine besondere Empfehlung der Redaktion:
Wie wir ticken - Euer Psychologie-Podcast
Wie gewinne ich die Kraft der Zuversicht? Warum ist es gesund, dankbar zu sein? Der neue Psychologie Podcast von SWR2 Wissen und Bayern 2 radioWissen gibt Euch Antworten. Wissenschaftlich fundiert und lebensnah nimmt Euch „Wie wir ticken“ mit in die Welt der Psychologie. Konstruktiv und auf den Punkt. Immer mittwochs, exklusiv in der ARD Audiothek.
ZUM PODCAST
Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.
RadioWissen finden Sie auch in der ARD Audiothek:
ARD Audiothek | RadioWissen
JETZT ENTDECKEN
Das vollständige Manuskript gibt es HIER.
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
Sprecherin:
Es ist wieder Weihnachtszeit. Die Zeit der Besinnlichkeit und Ruhe. Aber auch die Zeit der Nächstenliebe und der Großzügigkeit. An Weihnachten beschenken wir uns gegenseitig, sind aber auch eher bereit mit denen zu teilen, die weniger Glück haben - denen es schlechter geht. Nie wird so viel zu Spenden aufgerufen und auch gespendet, wie an Weihnachten.
O-Ton 01 Lindenberger
Es ist wirklich ein Phänomen, ich merks an meinem Briefkasten, fast täglich kommt ein Spendenaufruf von irgendeiner Organisation, die Bundesweit oder in Bayern tätig ist.
Sprecherin
Pfarrer Hans Lindenberger, langjähriger Direktor des Caritasverbandes der Erzdiözese München und Freising ...
O-Ton 02 Lindenberger
Woher kommt das auf Weihnachten hin? Weihnachten, so heißt es ja, ist das Fest der Liebe und da hoffen dann die Spendenempfänger, die zu den Spenden aufrufen und darum bitten, dass das Herz geöffnet ist, mehr geöffnet ist als im Trubel des ganzen Jahres über - deshalb die Aufrufe zum Spenden.
Sprecherin
Weihnachten - das Fest der Liebe, an dem der Geburt Jesu gedacht wird, dem Mann, der als Sohn Gottes Nächstenliebe vorgelebt und diese auch von seinen Anhängern verlangt hat.
Auch wenn der Einfluss der Kirchen und des Christentums immer mehr zurückgeht, die Idee der Nächstenliebe scheint geblieben zu sein.
O-Ton 03 Lindenberger
Die Humanität, die menschliche Nächstenliebe. Das ist schon eine Prägung vom Christentum her, aus unserer Tradition heraus, in unsere Gesellschaft hinein. Des wäre ja eine Katastrophe, wenn Menschen, die sich nicht als Christen bezeichnen auch Abschied nehmen würden und müssten von der Humanität. Christsein ist immer auch human sein. Und daher mein ich, dass die Bereitschaft zum Geben zum Spenden in unserer Gesellschaft ganz hoch ausgeprägt ist. Auch wenn die Kirche schwächelt.
Musik 2
"Part VII" - Komponist und Ausführender: Fred Frith - Album: Rivers and Tides - Länge: 1'17
Sprecherin
Unsere Gesellschaft ist vom Christentum geprägt. Aber Werte wie Humanität und Nächstenliebe finden sich auch in anderen Religionen, in den Gedanken der Aufklärung und dezidiert antiklerikalen oder atheistischen Bewegungen wieder. Weihnachten als Fest der Liebe hat aber offenbar eine besondere Strahlkraft über die christliche Tradition hinaus. Als könnten sich alle darauf einigen sich besonders zu dieser Zeit auf die Nächstenliebe zu besinnen…
Aber irgendwie ist das auch seltsam … Denn das würde ja überspitzt gesagt bedeuten, dass wir immer eine höhere Instanz, sei es einen Gott, eine Lehre oder eine Theorie bräuchten, um miteinander zu teilen. Als müssten wir zu jeder guten Tat aufgefordert werden, weil wir nicht bereit sind von selbst etwas herzugeben … das ist doch ein etwas düsteres Menschenbild.
Schauen wir genauer hin: Wie ist es mit uns Menschen und dem Teilen? Hat Teilen jenseits aller Forderung von außen, aller Moral oder Religion vielleicht nicht etwas Grundsätzliches mit unserem Menschsein zu tun?
O-Ton 04 Parianen
Wenn wir sagen, Kinder müssen Teilen lernen, dann meinen wir meistens dieses großzügige Teilen, also abgeben von dem, was ich habe.
Sprecherin
Die Neurowissenschaftlerin Franca Parianen hat sich in ihrem Buch „Teilen und Haben“ detailliert mit der Frage nach dem Teilen beschäftigt und untersucht, wie wichtig das Teilen für uns Menschen ist. Ein Blick auf das Verhalten der Kleinsten kann sehr aufschlussreich sein, wenn man herausfinden will, wie unser Wesen grundsätzlich beschaffen ist.
O-Ton 05 Parianen
Und wenn man jetzt kuckt: Können das Kinder besonders gut? stellt sich gerade bei so ganz Kleinen raus: Naja – Grade am Anfang sind wir nicht richtig begeistert von der Vorstellung was hergeben zu müssen von unserer Schokolade, von unseren Keksen.
Sprecherin
Also stimmt es?! Wir sind Egoisten … die anderen sind uns egal ... Wir schauen nur nach unserem eigenen Vorteil ...
Oder doch nicht?
O-Ton 06 Parianen
Das heißt aber von Anfang an nicht, dass uns andere Kinder jetzt egal sind, nämlich, wenn wir die Wahl haben, ob wir einfach selbst für uns ein Keks haben können, oder zwei Kekse für uns beide, aber dafür müssen wir Zusammenarbeit eingehen, dann riskieren wir von ganz klein auf die Zusammenarbeit, d.h., wir wollen eigentlich, dass beide was haben.
Und jetzt könnte man sagen: Naja gut (...) das heißt ja, dass wir großzügig sind, wenn wir selbst nicht verzichten müssen, das kann ich auch(...). Aber wahrscheinlich ist das der Kontext in dem Menschen gelernt haben zu teilen, denn ziemlich am Anfang stand wahrscheinlich eine Situation, wo man zusammen gejagt hat, und danach stand jeder mit mehr da.
Sprecherin
Unsere Vorfahren haben irgendwann damit angefangen zusammen zu jagen, weil damit die Chance ein großes Tier zu erlegen viel größer war. Davon hat jeder schon gehört. Dass wir soziale Wesen sind, hängt irgendwie mit der gemeinsamen Jagd zusammen. Aber gemeinsam Jagen allein bringt noch nicht viel. Schaut man auf unsere nächsten Verwandten, dann wird das deutlich: Stellt man zwei Schimpansen vor eine Aufgabe, in der sie zusammenarbeiten müssen, um eine Belohnung – z.B. einen Obstkorb - zu erhalten, dann tun sie das, aber ….
O-Ton 07 Parianen
Schimpansen sind überhaupt nicht doof, die verstehen sofort was von ihnen verlangt wird. Die gehen in einen Raum rein, ziehen zusammen an einem Seil und danach isst der Ranghöhere alles auf und der andere sitzt beleidigt in der Ecke. Das Ganze funktioniert exakt einmal.
Sprecherin
Mit Kooperation allein ist es also nicht getan.
O-Ton 08 Parianen
Das heißt, wir müssen erstmal abgeben lernen, damit wir Zusammenarbeit möglich machen.
Musik 3
"Part VII" - Komponist und Ausführender: Fred Frith - Album: Rivers and Tides - Länge: 0'20
Sprecherin
Nur wer teilen kann, für den macht Kooperation wirklich Sinn. Und es sieht ganz so aus, dass das Teilen eine wesentliche Fähigkeit gewesen ist, die unsere Entwicklung zu dem, was wir heute sind, erst möglich gemacht hat. Denn das Ganze bleibt nicht bei der Jagdbeute stehen:
O-Ton 09 Parianen
Sondern, indem wir zusammen teilen, teilen wir z.B. auch das Jagdrisiko, d.h. wenn wir heute das teilen, was wir gefunden haben, sitzen, wir morgen nicht alleine da, wenn wir mal nichts finden.
Sprecherin
Doch gibt es noch viel tiefgreifendere Bereiche, in denen das Teilen essenziell ist, betont Franca Parianen:
O-Ton 10 Parianen
Und ganz wichtig: Wir teilen auch von Anfang an Wissen. Es ist nämlich so, dass ohne gewisses Wissen, ohne das Wissen darum, wie man Feuer macht, wie man Fleisch verarbeitet, die ersten Steinkeile und sowas, wir gar nicht in der