Franziska zu Reventlow - Schriftstellerin, Rebellin und Freigeist
Description
Franziska zu Reventlow - sie war Mythos und Skandal zugleich: Die Schriftstellerin, Malerin und Übersetzerin wurde Mittelpunkt der Schwabinger Künstlerkreise um 1900, galt als Verkörperung erotischer Rebellion und bohèmehaften Lebens. Empörend und vorbildhaft: als frühe Inkarnation weiblichen Selbstbewusstseins. Von Frank Halbach
Credits
Autor und Regie dieser Folge: Frank Halbach
Es sprachen: Christiane Roßbach, Stefan Merki, Ines Hollinger
Technik: Simon Lobenhofer
Redaktion: Susanne Poelchau
Im Interview:
Ulla Egbringhoff, Publizistin und Reventlow-Biographin
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Literatur:
Ulla Egbringhoff: Franziska zu Reventlow. Reinbek bei Hamburg 2000.
Kerstin Decker: Franziska zu Reventlow. Eine Biografie. Berlin 2018.
Franziska zu Reventlow: Herrn Dames Aufzeichnungen. Begebenheiten von einem merkwürdigen Stadtteil. München 1913.
Franziska zu Reventlow: Der Geldkomplex. Meinen Gläubigern zugeeignet. München 1916.
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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
ZITATORIN
Das Gefühl von Glück und Fülle ist ganz unabhängig von wirklichem Erleben? Aber in welcher Sphäre liegt es dann, und warum ist es manchmal in uns und manchmal wieder unerreichbar?
ERZÄHLERIN
Franziska zu Reventlow: „Ein Leben, das eins von denen ist, die erzählt werden müssen, dass man es vor allem den jungen Mädchen und jungen Männern erzählen muss, die das Leben anfangen wollen und nicht wissen wie.“, meinte der Lyriker Rainer Maria Rilke.
ZITATORIN (ernsthaft)
Ich darf nur lieben, aber niemals jemanden gehören!
SPRECHER (sensationslüstern)
Die Skandalgräfin von Schwabing war eine Virtuosin der freien Liebe!
MUSIK ENDE
MUSIK Z8022611 128 „Alphaville“; ZEIT: 01:00
ERZÄHLERIN
Franziska zu Reventlow war alleinerziehende Mutter, Symbolfigur der sexuellen Revolution, Vorbotin des intellektuellen Prekariats und lange Zeit eine viel zu wenig beachtete Schriftstellerin.
ZITATORIN (erfüllt)
Vielleicht brächte ich es soweit, in Glanz zu leben, aber ich hätte dann alles andere nicht, meine absolute Freiheit und mein Leben für mich.
ERZÄHLERIN
Sie setzte Maßstäbe eines ungebundenen Lebens, brach mit den Konventionen des Kaiserreiches und mit ihrer Familie. Sie empörte - und begeisterte als Verkörperung eines neuen weiblichen Selbstbewusstseins. „Vielleicht die erste Frau von heute“, meinte die Kolumnistin und Kritikerin Kerstin Decker.
ZITATORIN (heiter)
Eigentlich ist jeder Tag wie eine große Schlacht mit vielen Lichtblicken.
MUSIK ENDE
O-Ton 1 Egbringhoff (01:54 )
Franziska zu Reventlow war schon in ihrer Jugend sehr auf Freiheit bedacht.
ERZÄHLERIN
Erläutert die Autorin , Ulla Egbringhoff, die mehrfach zu Autorinnen der Jahrhundertwende veröffentlicht und eine Monographie zu Franziska zu Reventlow für den Rowohlt-Verlag geschrieben hat.
O-Ton 2 Egbringhoff (02:10 )
Sie ist dann ins Internat gekommenen, ein Mädchenstift, damit sie sich bessert. Auch dort war sie schon von Anfang an renitent und hat einmal in ihrem Kleiderschrank geschrieben:
MUSIK privat Track 014 „Das Gedicht“; Album: Oktoberfest 1900; Label: 2Lane Records; Interpret: Michael Klaukien; Komponist: Michael Klaukien; ZEIT: 00:12
ZITATORIN (unbeirrbar, zu sich)
Ich habe nie das Knie gebogen – den stolzen Nacken nie gebeugt.
MUSIK ENDE
O-Ton 3 Egbringhoff (02:40 )
Dieser Widerstand gegen Restriktionen und Eingrenzungen hat durchaus ihr Leben bestimmt. Und das war in ihrer Familie nicht gern gesehen. Und selbst in ihrer Familie wurde sie zum Skandal. Als sie dann in jungen Jahren nach München ging und in die Münchner Bohème ging, da fiel sie auch sehr auf mit ihrem Freiheitsdrang, der sich darin ausdrückte, dass sie als geschiedene Frau, als ledige Mutter ein Kind bekommen hat. Sie hat immer verheimlicht, wer der Vater des Kindes war, und das war natürlich skandalös.
MUSIK privat Track 014 „Das Gedicht“; Album: Oktoberfest 1900; Label: 2Lane Records; Interpret: Michael Klaukien; Komponist: Michael Klaukien; ZEIT: 01:47
ERZÄHLERIN
Geboren am 18. Mai 1871 in Husum wird sie getauft auf den Namen:
Fanny Liane Wilhelmine Sophie Adrienne Auguste Comtesse zu Reventlow. Die Mutter versucht ihre Tochter gemäß des Frauenbilds des 19. Jahrhunderts zu erziehen. Das bedeutet: Anpassung bis zur Selbstverleugnung und das Unterdrücken jeglichen eigenmächtigen kreativen Ausdruckswillens. Um das durchzusetzen sind Schläge an der Tagesordnung.
ZITATORIN (verletzt, sarkastisch)
Nicht einmal die Hunde bekamen so viele Prügel. – Mama hatte die Hunde wohl auch viel lieber.
ERZÄHLERIN
Die Prügel haben nicht den gewünschten Erfolg. Und der Aufenthalt im Internat, im Freiadeligen Magdalenenstift in Altenburg auch nicht. Die Stiftpröbstin macht in Fanny einen schädlichen Einfluss auf die Mädchen aus.
ZITATORIN
Die Sünde ist unter euch wie ein fressender Eiter.
SPRECHER
Nach dem Rauswurf aus dem Internat verbrachte Fanny viel Zeit bei ihrer Tante Liane von Qualen, der jüngeren Schwester ihrer Mutter, in Wulfshagen, im Kreis Eckernförde.
ERZÄHLERIN
Ganz im Gegensatz zu ihrer Schwester ist Tante Liane sehr interessiert an Kunst und Literatur. In Fanny wächst der Wunsch Malerin zu werden und sie erhält Unterricht von Fräulein Heine, die zu Fannys Vorbild wird.
SPRECHER
Doch 1888 soll Fanny wieder nach Hause kommen – der Vater hat beschlossen mit der Familie nach Lübeck zu ziehen.
ERZÄHLERIN
Doch der Same ist gesät: Kunst ist für Fanny gleichbedeutend geworden mit:
ZITATORIN
Leben! Ein Traum von immerwährender Glückseligkeit
MUSIK ENDE
O-Ton 4 Egbringhoff (05:23 )
Das war ihr ganz großes Ziel, schon sehr früh, Künstlerin zu werden. Als sie dann in Lübeck gewesen ist, war sie dann verlobt mit einem Juristen. Und der Jurist, Herr Lübke, hatte ihr dann auch ermöglicht, Unterricht zu nehmen in München.
MUSIK Z8042026 113 „Goldstein“; ZEIT: 02:02
SPRECHER
Ende des 19. Jahrhunderts war München zu einer der bedeutendsten Kunstmetropolen Europas aufgestiegen. München leuchtete:
ERZÄHLERIN
Die bayerische Hauptstadt lockte Malerinnen und die, die es werden wollten, an die Isar.
SPRECHER
Ein Studium an einer staatlich und künstlerisch anerkannten Akademie war Frauen damals freilich verboten. Die vielen Künstler Münchens aber boten gerne privaten Unterricht an.
ZITATORIN (glücklich)
Das Arbeiten in unserem großen kühlen Atelier, und dann wieder in die Sonne hinaus, den ganzen Tag sein eigner Herr sein, keinen Moment des Tages sich nach anderen richten zu müssen! So habe ich mir’s geträumt, das ist endlich die Luft, in der ich leben kann. Mein Gott, und jetzt muss ich arbeiten, arbeiten bis aufs Blut und dann fasst mich der Jammer an um all die verlorene Zeit, was für Jahre hätte ich schon arbeiten können.
SPRECHER
Klagt die 22-jährige Fanny. In der Malschule von Anton Ažbé in der Georgenstraße, wo auch so prominente Künstler wie Wassily Kandinsky und Alexej von Jawlensky ausgebildet wurden, beginnt Fanny ihr Bohème-Leben. Zunächst noch recht sorglos, finanziert von ihrem Mann Walter von Lübke.
Fotos aus der Zeit zeigen eine kleine, zierliche hübsche junge Frau.
ERZÄHLERIN
„Ihr Äußeres von strahlendem Reiz und das Herz erfüllt von der Schönheit des Lebens und von der Sehnsucht nach einer schönen freien Menschenwelt.“, wird Erich Mühsam später schreiben. Und Annette Kolb meinte: „Ihre Augen waren wunderschön. Ihr Zynismus kannte keine Grenzen, doch immer alles mit Grazie.“
SPRECHER
Ihre materiellen Mittel sind bescheiden – nicht nur weil die Schulgebühren und die Malutensilien teuer sind, sondern wohl auch weil sie mit Geld recht unbekümmert umgeht. Ulla Engbringhoff:
MUSIK ENDE
O-Ton 5 Egbringhoff (07:36 )
Sie hat Unterricht genommen, sie hat gemalt, aber sie musste immer wieder feststellen, das