Gefälschte Fossilien – Von Knochenpuzzeln und Gipsgestein
Description
Mit ihnen lässt sich gutes Geld verdienen - oder gar die Evolutionsgeschichte neu schreiben: gefälschte Fossilien. Von billigen Fakes bis zu kunstfertigen Manipulationen führen sie selbst Museen und Wissenschaftler immer wieder hinters Licht. Wer die Fälscher sind, was sie antreibt - und wie man sie doch entlarvt. Von Marisa Gierlinger
Credits
Autorin dieser Folge: Marisa Gierlinger
Regie: Sabine Kienhöfer
Es sprachen: Thomas Birnstiel, Julia Fischer
Technik: Moritz Herrmann
Redaktion: Yvonne Maier
Im Interview:
Prof. Dr. Eberhard "Dino" Frey, Paläontologe
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Literatur:
Corbacho, Joan /C. Sendino, "Fossil fakes and their recognition", Deposits Magazine 30 (2012): 35-40
Feder, Kenneth L., Frauds, myths, and mysteries: science and pseudoscience in archaeology, Mountain View, California: Mayfield Publishing Company, 1990
Hancock, Peter, Hoax Springs Eternal, Cambridge University Press, 2015
Pickrell, John, Flying dinosaurs: how fearsome reptiles became birds, Columbia University Press, 2014
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Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
SPRECHER
Am 18. Dezember 1912 treten im Vorlesungssaal der Londoner Geological Society zwei Herren ans Rednerpult. Der eine: Arthur Smith Woodward, Konservator der geologischen Abteilung des britischen Museums. Der andere: Charles Dawson, Rechtsanwalt und Amateur-Archäologe. Was sie der versammelten Menge präsentieren, ist nicht weniger als eine Sensation. Es sind die versteinerten Fragmente eines Schädels und ein Unterkiefer. Frühmenschliche Überreste, ausgegraben in einem Flussbett bei Piltdown in der Grafschaft Sussex. Eine halbe Million Jahre könnte der Piltdown Man alt sein, wie Tierknochen aus derselben Kiesgrube nahelegen. Nicht nur sein Alter macht ihn spektakulär. Auch für die Evolutionsgeschichte ist die Entdeckung unerhört. Ein Mensch mit affenähnlichem Gebiss und einer fortschrittlich entwickelten Schädelkapsel. Ein Fund von epochaler Bedeutung, wie die Zeitungen in jenen Tagen schreiben. Der erste Engländer. Der wahre Urmensch.
SPRECHERIN
Der Piltdown Man – er wird tatsächlich in die Wissenschaftsgeschichte eingehen. Doch nicht als Meilenstein der menschlichen Evolution. Sondern als spektakulärer Betrug. Als kunstvoll fabrizierte Fälschung, die sogar Spezialisten über Jahre täuschen konnte. Es ist der bis heute berühmteste Fall eines gefälschten Fossils. Doch bei weitem nicht der Einzige.
O-TON 01 EBERHARD FREY
Wie fang ich da am besten an? Es gibt verschiedene Kategorien von Fälschungen.
SPRECHERIN
Sagt der Paläontologe Eberhard Frey, genannt: Dino. Er war viele Jahre Leiter der geologischen Abteilung im Karlsruher Museum für Naturkunde. Dabei ist auch ihm schon einiges untergekommen.
O-TON 02 EBERHARD FREY
Es gibt Fälschungen, die sind plump und die sieht man sofort. Und es gibt Fälschungen, die sind sehr tricky gemacht. Das sind Fälschungen, wo Kunststoffe eine große Rolle spielen. Abgüsse von anderen Fossilien, die dann in nicht vollständige Fossilien so eingebaut werden, dass man es nicht merkt. (…) Und es gibt Fossilien, die sind zusammengesetzt aus verschiedenen Tieren der gleichen Art. (…) Und dann gibt’s witzige Fossilien, die sind zusammengesetzt aus verschiedenen Tieren.
Musik: Green planet red. 0‘33
SPRECHERIN
Wenn Organismen wie Lebewesen oder Pflanzen absterben, werden sie normalerweise zersetzt. Dafür muss allerdings Sauerstoff im Spiel sein. In seltenen Fällen werden sterbliche Überreste komplett von ihrer Umgebung eingeschlossen, zum Beispiel in Sediment. Es beginnt die sogenannte Fossilisation: In einem langwierigen chemischen Prozess wird die organische Substanz dann nach und nach in mineralische umgewandelt. Sprich: in Gestein.
Auf diese Weise bleiben sie der Nachwelt erhalten: als versteinerte Überreste oder deren Abdruck in Sediment. Sind diese mehr als 10.000 Jahre alt, spricht man von einem Fossil. Dinosaurierknochen, Ammoniten, die Fußspuren früher Menschen. Sie schreiben die Geschichte unserer Herkunft, lange bevor es menschliche Aufzeichnungen gab. Das macht Fossilien wertvoll, für Museen wie Privatsammler. Und sie damit auch für Fälscher interessant.
Musik: Crossing the Wujiang river 0‘31
Vor allem in China floriert der Fossilienmarkt. Obwohl die Gesetze langsam strenger werden, ist der Handel im Vergleich zu Europa wenig reguliert. Seit jeher verfügt das Land über bedeutsame geologische Fundstätten. Vor allem die Provinz Liaoning ist unter Paläontologen für ihren Fossilreichtum bekannt. Die Gegend ist von Ackerland geprägt. Tausende Farmer nutzen die Grabungen als Zusatzverdienst. Manche werden von Wissenschaftlern als billige Arbeitskräfte rekrutiert, andere machen sich selbst auf die Suche - was sie finden, verkaufen sie an Händler. Das ist zwar illegal, aber lukrativ: In gutem Zustand kann ein Fossil für zig tausend Euro über den Tresen gehen. Grund genug, im Zweifel nachzuhelfen.
O-TON 03 EBERHARD FREY
Und da kommen aus China viele Fossilien, die Vogel ähnlich aussehen. Da ist der Kopf geschnitzt, also gefräst in den Stein. Die Wirbelsäule besteht aus einer Fisch-Wirbelsäule, die „Rippen“ in Anführungszeichen sind die Dornfortsätze und die Schwanzfortsätze von der Schwanzwirbelsäule von einem Fisch . Und dann werden irgendwelche Knöchlein eingebaut als Beine und Flügel, und es wird dann für eine fünfstellige Summe angeboten.
SPRECHERIN
Oft durchlaufen solche Stücke eine ganze Kette von Zwischenhändlern. Wer den Fund wie manipuliert hat, lässt sich im Nachhinein schwer ausforschen.
Darum genießt Liaoning trotz seiner geologischen Schatzkammern heute unter Paläontologen einen zweifelhaften Ruf. Das liegt vor allem an einem Fall: dem des Archäo-Raptor. Einem Bindeglied zwischen Dinosaurier und Vogel, das man glaubte, in der Provinz gefunden zu haben – eine Sensation. Zweifel an dem Fund gab es von Anfang an. Dennoch veröffentlichte ihn der National Geographic in seiner Novemberausgabe 1999. In Wahrheit handelte es sich um eine Manipulation, ein Mischwesen aus dem Rumpf eines primitiven Vogels, dem Schwanz eines gefiederten Dinosauriers. Und den Beinen von einem Wesen, das bis heute nicht identifiziert werden konnte. Ein Schaden für die chinesische Wissenschaft, aber auch eine Blamage für den National Geographic. Auch dem Fachmagazin Nature war die Story angeboten worden – man hatte abgelehnt.
Musik Microments 0‘31
SPRECHERIN
Der Archäoraptor ist ein besonders drastischer Fälschungsfall. Doch nicht immer handelt es sich um eine mutwillige Täuschung. Laien setzen gefundene Teile oft unbeabsichtigt falsch zusammen. Manchmal ist der ursprüngliche Fundort, in der Fachsprache: der Kontext, nicht mehr nachvollziehbar, auch das stellt Forscher vor ein Problem.
O-TON 04 EBERHARD FREY
Wenn dieses Stück keinen Fundort hat, dann wäre ich schon von vornherein vorsichtig. Weil dann ein wesentlicher Aspekt dieses Fossils einfach fehlt.
Musik: Unbiased opinion 0‘50
SPRECHERIN
Der Fundort verrät nämlich nicht nur, wo genau ein Fossil herkommt – sondern auch, wie alt es ist. Dafür gibt es zwar auch andere Methoden: zum Beispiel die Analyse radioaktiver Isotope im Gestein, die nach einer bestimmten Zeit zerfallen. Das funktioniert aber je nach Isotop nur bis zu einem gewissen Alter. Für die Datierung wird dann der geologische Fundort herangezogen: die jeweiligen Gesteins- und Sedimentschichten, die sich einem bestimmten Erdzeitalter zuordnen lassen. Und: die sogenannten „Leitfossilien“ innerhalb einer Schicht. Das sind zum Beispiel wirbellose Tiere wie Ammoniten, die zu einer bestimmten Zeit vorkamen.
O-TON 05 EBERHARD FREY
Das heißt, man hat nicht nur ein Fossil, sondern man hat einen Befund um dieses Fossil herum. Und je vollständiger der ist, desto wertvoller ist dieser Fund für die Wissenschaft.
SPRECHERIN
Wertvoll sind Fossilien vor allem für die Paläontologie. Die Wissenschaft als solche gibt es seit dem frühen 19. Jahrhundert. Sie widmet sich den Lebensformen früherer Erdzeitalter, von den Dinosauriern bis zu den Menschen. Fossilien stehen dabei im Zentrum.
Musik: Mystic tendency (a) 0‘18
SPRECHERIN
Auf versteinerte Überreste stießen Menschen schon früher – und interpretierten sie je nach damaligem Wissen und Glaubenssätzen. So prägten oder bestätigten Funde auch die jeweiligen Mythologien.
O-TON 07 EBERHARD FREY
Dann denkt man die Donnertiere in Nord Nordamerika, wo die Indigenen dann geglaubt haben, w