Jakob Wassermann - Der fast vergessene „Weltstar des Romans“
Description
Mit Romanen wie "Caspar Hauser" oder "Der Fall Mauritius" schuf Jakob Wassermann internationale Bestseller. Der deutsche Erzähler jüdischer Herkunft war einer der populärsten Autoren seiner Zeit. Doch dann verbrannten die Nazis seine Bücher. Von Dirk Kruse (BR 2023)
Credits
Autor dieser Folge: Dirk Kruse
Regie: Christiane Klenz
Es sprachen: Annette Wunsch, Heiko Ruprecht, Florian Schwarz, Jenny Güzel
Technik: Fabian Zweck
Redaktion: Thomas Morawetz
Im Interview:
Professor Dr. Gunnar Och (Literaturwissenschaftler, Nürnberg);
Dr. Alexander Mayer (ehemaliger Stadtheimatpfleger, Fürth);
Dr. Dierk Rodewald (Literaturwissenschaftler, Berlin)
Literaturtipps:
Beatrix Müller-Kampel, „Jakob Wassermann. Eine biographische Collage“ – Der Grundstein für die noch zu schreibende große literaturwissenschaftliche Wassermann-Biographie mit vielen Zitaten aus Wassermanns Umfeld.
Dierk Niefanger, Gunnar Och und Daniela F. Eisenstein, „Jakob Wassermann. Deutscher, Jude, Literat“ – reich bebilderte Sammlung mit Aufsätzen und Essays zu Leben und Werk Wassermanns.
Jakob Wassermann, „Mein Weg als Deutscher und Jude“ – die noch erhältliche Ausgabe im Jüdischen Verlag hat ein kluges Nachwort von Marcel Reich-Ranicki. Wassermann maßgebliches autobiographisches Werk.
Jakob Wassermann, „Caspar Hauser oder Die Trägheit des Herzens“ – dieser schöne Roman, der auch historische Quellen auswertet, die aber im Wassermann-Erzählton präsentiert werden, ist noch im Cadolzburger Ars Vivendi Verlag erhältlich mit einem erhellenden Nachwort von Gunnar och lieferbar.
Jakob Wassermann, „Der Fall Maurizius“ – Wassermanns größter Erfolg von 1928. Die Geschichte eines Justizirrtums, die sich spannend wie ein Krimi liest.
Und noch eine besondere Empfehlung der Redaktion:
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Das Manuskript zur Folge gibt es HIER.
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
Zitator
Jakob Wassermann ist der Romancier von Geblüt. Hätte es vor ihm den Roman nicht gegeben, er wäre der Mann gewesen, ihn zu erfinden…
Sprecherin
Diese Eloge veröffentlichte Heinrich Mann anlässlich des 60. Geburtstags von Jakob Wassermann am 10. März 1933 in der „Neuen Rundschau“.
Zitator
… Für seinesgleichen setzt das Leben sich in Bewegung, um wunderbare Verwicklungen hervorzubringen. Der Roman behauptet bei ihm seinen volkstümlichen Sinn, Spannung, Geheimnis, Enthüllung, großer Aufbau, die Befriedigung durch deutliche Handlungen…
Sprecherin
Auch die Freunde und Kollegen Thomas Mann, Stefan Zweig, Hermann Hesse und Alfred Döblin gratulierten dort feierlich.
Zitator
… - und in dem allen schlägt fortwährend ein Herz, wacht immer ein menschlich bemühter Geist und offenbart sich ein herrlicher Dichter.
Sprecherin
Nur zwei Monate später wurden die Bücher Jakob Wassermanns, und die der meisten Glückwünschenden, von den Nationalsozialisten auf öffentlichen Scheiterhaufen verbrannt. Doch während viele der damals verfemten und verfolgten Autoren heute immer noch gelesen werden, ist das Werk Jakob Wassermanns trotz einiger Wiederbelebungsversuche kaum noch präsent. Dabei war Wassermann im ausgehenden Kaiserreich und in der Weimarer Republik einer der meistgelesenen, deutschsprachigen Erzähler. Ein internationaler Bestsellerautor, der unterhaltsam schrieb, ohne ein Unterhaltungsschriftsteller zu sein. Mit dem Schlachtruf "Der neue Wassermann ist eingetroffen!" stürzten die Leser damals in die Buchhandlungen und schnappten sich den neusten Roman des fränkischen Autors gegenseitig aus den Händen, versicherte ein Rezensent 1931. Sein Freund Thomas Mann bezeichnete ihn sogar als „Weltstar des Romans“.
Wer war dieser Autor, der sich in die Herzen seiner Leserinnen und Leser schrieb, und der heute nur noch wenigen etwas sagt?
MUSIK 2 ( Fiona Brice: And You Know I Care 0‘55)
Sprecherin
Jakob Wassermann wird am 10. März 1873 in Fürth geboren.
Zitator Wassermann
Erstickend in ihrer Engigkeit und Öde die gartenlose Stadt, Stadt des Rußes, der tausend Schlöte, des Maschinen- und Hammergestampfes, der Bierwirtschaften, der verbissenen Betriebs- und Erwerbsgier, des Dichtbeieinander kleiner und kleinlicher Leute, der Luft der Armut und Lieblosigkeit im väterlichen Haus.
(Jakob Wassermann: Mein Weg als Deutscher und Jude)
Sprecherin
Wassermann wächst in kleinbürgerlichen, ärmlichen Verhältnissen auf. Sein kühler Vater, ein jüdischer Kurzwarenhändler, hat geschäftlich Pech, so dass die Familie innerhalb Fürths mehrfach die Wohnung wechseln muss. Am längsten lebt der kleine Jakob in der Theaterstraße 17, in der jetzt der ehemalige Fürther Stadtheimatpfleger Alexander Mayer wohnt. Heute ein schmuckes Gründerzeithaus mit renovierter Sandsteinfassade. Damals steht es inmitten rußgeschwärzter Häuser im Herzen der fränkischen Industrie- und Handwerksstadt, so Mayer.
O-Ton 1 Alexander Mayer
Er hat über Fürth ja meistens sehr negativ geredet. Fürth war die „Stadt der tausend Schlöte“, so wie er es beschrieben hat. In jedem Hinterhof war ein Schlot. Hier war ein Gehämmer und Gestampfe und die Häuser waren schwarz. Das war für ihn nichts als sensiblen Jungen, vor allem auch, weil hier in der Wohnung seine Mutter mit 32 Jahren an Mittelohreiterung tragisch starb. Und er beschreibt auch den Leichenzug rüber zum jüdischen Friedhof, wie also die Goldschläger und Messingschläger vor die Tür treten und den Leichenzug begleitet haben mit Tränen in den Augen. Das beschreibt er in seinem Roman „Engelbert Rathgeber“ und in seiner ersten Novelle „Schläfst du Mutter?“.
Sprecherin
Der Tod der geliebten Mutter bedeutet für den Neunjährigen das Ende der behüteten Kindheit. Der Vater heiratet schnell wieder, doch Jakobs Stiefmutter benimmt sich ähnlich böse wie die im Märchen.
Zitator Wassermann
Die zweite Frau meines Vaters war uns Kindern aus erster Ehe nicht wohlgesinnt und ließ uns ihre Abneigung auf jede Weise spüren. Abgesehen von ungerechten und überharten Züchtigungen, steten Klagen, die sie vor dem Vater führte, schränkte sie die Nahrung aufs äußerste ein, versah die Brotlaibe mit Zeichen, so dass sie erkennen konnte, wenn einer von uns sich zu Unrecht ein Stück abgeschnitten hatte, und trug Sorge, dass das Vergehen schwer bestraft wurde.
(Jakob Wassermann: Mein Weg als Deutscher und Jude)
Sprecherin
Der phantasiebegabte Junge erzählt und schreibt gerne Geschichten. Doch statt ihn zu fördern, wird sein Talent mit Gewalt unterdrückt.
O-Ton 2 Alexander Mayer
Er ging ja um die Ecke in die Schule, in die Königliche Realschule, später Hardenberg-Gymnasium. Da hat er ja sein erstes literarisches Werk in einer Zeitung veröffentlicht. Dafür hat er aber gleich Karzer bekommen, weil das für einen Schüler ungehörig war. Und auch der Vater war, wie Wassermann schreibt, im ersten Moment stolz auf ihn und dann zuckt er und sagt das ist ungehörig. Und ab da gab es nur Ärger. Und er hat immer Angst gehabt, dass eine Stiefmutter ihm seine Manuskripte verbrennt. Angeblich hat er deshalb so klein geschrieben, damit er sie gut verstecken kann überall.
MUSIK 3 (Fie Schouten: Press Release 0‘50)
Sprecherin
Mit 17 Jahren entflieht Jakob Wassermann seiner Heimatstadt Fürth, bricht eine Kaufmannslehre in Wien ab und träumt davon Schriftsteller zu werden. Er erlebt üblen Antisemitismus beim Militärdienst in Würzburg und vagabundiert, verstoßen von der Familie, in Hunger und Armut als Bohemien durch Süddeutschland, bis er schließlich Sekretär des Münchener Autors Ernst von Wolzogen wird. Dem legt er schließlich schüchtern das Manuskript eines Romans zur Begutachtung vor.
Zitator
Ein echter Dichter sprach daraus. Merken Sie sich den Namen: Jakob Wassermann! Er wird berühmt. Und ist er es, dann denken Sie daran, dass ich es Ihnen heute sagte.
Sprecherin
Ernst von Wolzogen fördert den Jungautor und stellt ihn seinem Verleger Albert Langen vor, wo 1896 Wassermanns erster, noch unbedeutender Roman „Melusine“ erscheint. Aber Wassermann hat Talent, so der Nürnberger Germanist Gunnar Och.
O-Ton 3 Gunnar Och
Er ist ein Erzähler von Geblüt. Das sagt auch Thomas Mann. Er ist tatsächlich einer, sagt Thomas Mann, der könnte auf dem Markt sitzen und die Leute würden ihm zuhören. Da liegt sein Talent. Er selber sagt ja, er hätte schon seinen Geschwistern die Ängste vertrieben. Da wäre das Scheherazade-Motiv. Er hat immer aufgehört und am nächsten Tag weitererzählt. Er ist schon einer, der gerne fabuliert.
MUSIK 4 ( Gustav Mahler / Chimaera Trio: Ablösung im Sommer 1‘10)
Sprecherin
Wassermann veröffentlicht Novellen, Theaterstücke und mit „Die Juden von Zirndorf“ einen beeindruckenden zweiten Roman. Wegen einer unglücklichen Liebegeschichte verlässt er München und geht nach Wien. Dort stößt er in die Literatenkreise vor und bef