Literatursensation und Skandal – Gedichtband „An die Deutschen“ von Juliette Pary
Update: 2025-09-10
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Wiederentdeckung der Lyrikerin Juliette Pary
1944, mitten im Krieg, schrieb Juliette Pary: „Ich bin eine rächende Judenstimme, die aus eurem Mord entsteht. Und ich spreche zu euch in eurem Deutsch, damit ihr mich gut versteht.“ Ihr Gedichtband „An die Deutschen erschien“ 1946 in Paris – in Deutschland blieb er unbeachtet.
Jetzt veröffentlicht der Persona-Verlag in Mannheim das Werk erstmals. Für Prof. Andreas F. Kelletat, Herausgeber der Neuausgabe, ist das eine literarische Sensation: „Es sind so bewegende Texte, auch sprachlich so überzeugend. Sie bringt die Verbrechen in Gedichte – und sie benutzt keine Metaphern.“
Klarheit statt Verklärung
Kelletat erklärt, wie Pary die Grausamkeiten der Nazis unverblümt schildert: „Sie spricht nicht von schwarzer Milch der Frühe oder Wohnungen des Todes, sondern sie sagt: da ist Dreck, da ist Kot, da ist Urin, da ist Gestank. Und so werden meine Leute, mein jüdisches Volk, von den Deutschen behandelt.“
Er fügt hinzu, dass Parys Blick weit reicht: „Sie betrachtet nicht nur die Verbrechen an den Juden, sondern auch die drei Millionen verhungerten sowjetischen Soldaten und die Opfer des Patriarchats. Ihre Texte sind ein Mahnmal gegen jede Form von Gewalt und Unterdrückung.“
Ein Blick in Parys Werk
Aus einem Gedicht von 1944:
„Ich hab keine Muttersprache…
Und muss dichten jetzt germanisch,
Weil's dem Größeren gefällt.“
Diese wenigen Zeilen zeigen den inneren Zwiespalt: Die Gewalt der Geschichte zwingt sie, in der Sprache der Täter zu schreiben, die sie zugleich verehrt.
Biografie: Juliette Pary – Leben zwischen Sprachen und Kulturen
Juliette Pary wurde am 6. August 1903 als Julia Gourfinkel in Odessa geboren, damals Teil des Russischen Reiches, heute Ukraine. Sie entstammte einer assimilierten jüdischen Intellektuellenfamilie: Ihre Mutter war eine der ersten Akademikerinnen im Zarenreich, ihr Vater praktizierte als Kinderarzt in St. Petersburg und Odessa.
Schon in jungen Jahren lernte Julia mehrere Sprachen – Deutsch, Französisch, Englisch, Italienisch und Russisch – und entwickelte eine tiefe Begeisterung für klassische deutsche Lyrik sowie für Dichter wie Puschkin und Whitman.
Wie aus Julia Juliette wurde
Nach der Russischen Revolution verschlechterte sich die Lage der Familie erheblich. 1925 verließen Julia und ihre Schwester Nina die Sowjetunion und zogen nach Paris, um dort ein neues Leben zu beginnen. In der französischen Hauptstadt nahm Julia den Namen Juliette Pary an und integrierte sich in die literarische Szene der Stadt.
In Paris entfaltete Pary ein vielseitiges literarisches Schaffen: Sie schrieb Reportagen für Magazine, veröffentlichte Romane und übersetzte bedeutende Werke aus dem Deutschen, Englischen, Russischen und Jiddischen, darunter Hermann Hesses „Steppenwolf“ und Romane von Stefan Zweig.
Parallel engagierte sie sich stark in der Jugendarbeit, geprägt von den reformpädagogischen Ideen der Zeit, und veröffentlichte hierzu Fachbücher.
Authentische Stimmen gegen NS-Verbrechen
Kelletat fasst die Wirkung der Gedichte zusammen: „Sie sind authentisch, unverwechselbar, ein Schrei der Gerechtigkeit. Diese Texte beschreiben sehr realistisch die Naziverbrechen, die Qual und den Tod der verfolgten Juden – sie sind ein Mahnmal für alle Opfer.“
Er ist überzeugt: „Juliette Pary wird ihren Platz in der deutschen Dichtung finden. Ihre Stimme, direkt und kraftvoll, fordert uns auf, uns zu erinnern – und zuzuhören.“
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