DiscoverSWR2 Kultur AktuellMartin Oesch – Fleischeslust
Martin Oesch – Fleischeslust

Martin Oesch – Fleischeslust

Update: 2025-11-24
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Description

Fleisch ist im Comic „Fleischeslust" allgegenwärtig. In den Dialogen, auf Werbetafeln und der Menükarte im Lokal. Erst recht in den Bildern. Das strahlende Rosa der Mortadella und das Dunkelrot von Rindersteak und Kalbsleber ziehen sich durch die ganze Graphic Novel.
Sie dominieren die Metzgereitheke und leuchten im Rot der Äpfel, in Häuserfassaden oder dem Karo einer Tischdecke. Nicht zuletzt ist die Haut der Figuren schweinchenrosa – der Mensch ist schließlich auch ein Tier – und den pinken Einband des Comics kann man selbst in einem Bücherstapel sofort finden.
Sogar überzeugte Fleischesser dürften sich nach dieser Lektüre erstmal für ein Gemüsegericht entscheiden. 

Jede Menge Fleisch und Aufschnitt in Rot- und Rosatönen 


Dabei setzt Zeichner Martin Oesch nicht auf Ekeleffekte. Er zeigt nur in aller Deutlichkeit und in kräftigen Farben, was es heißt, mit Fleisch zu arbeiten.
Seiner Hauptfigur Erwin Merz, einem Metzger in einer fiktiven Schweizer Stadt, folgt er durch dessen Alltag: Aufstehen um sechs, umziehen und sofort in den Laden, um das Fleisch hinter der Theke zu drapieren. Und dann die nervende Kundschaft! 

Erwin: Da lesen sie etwas in der Zeitung und denken, sie wissen Bescheid. Die wissen nichts über das Handwerk und die Konservierungsmethoden.(...) Die Leute haben Angst vor dem Pökelsalz, vor dem Rauchharz und dem Fett. Aber ohne das alles kannst du eine schöne Charcuterievitrine vergessen! Das Zeug wäre blass, grau und schmecken würde es auch nicht. 

Quelle: Martin Oesch – Fleischeslust



So weit, so vertraut die Argumente von Metzger Erwin. In seinem Nein zu jeder Veränderung könnte er leicht zum Unsympathen werden. Zumal er äußerlich dem Klischee eines Metzgers entspricht: um die 60, grobschlächtig, Glatze, Schnurrbart. Doch Erwin verbirgt hinter seinem Poltern ein empfindsames Gemüt.
Sein Schöpfer Martin Oesch treibt ihn seitenlang durch kunstvoll komponierte Alpträume, getaucht in kühles Blau und Rot. In ihnen offenbaren sich Erwins wachsende Skrupel gegenüber den Tieren, was ihn schleichend, aber deutlich sein Leben in Frage stellen lässt. Erst recht, als er einen Bekannten trifft, der seinen Hof auf Ökolandbau umgestellt hat. 

Hier die Bilder von glücklichen Kühen – dort die Realität des Schlachthofs 


Leider wirkt das Pro und Contra zum Fleischkonsum an vielen Stellen arg didaktisch. Zu oft lässt Oesch den Metzger in Denkblasen und Monologen Dinge erklären, die für ihn selbstverständlich sein müssen.
Besser gelingt dem Zeichner das Ins-Bild-setzen von Stadtleben und Landwirtschaft: hier kühle Fassaden mit Werbetafeln von glücklichen Kühen - dort die Tierkörpersammelstelle inmitten strahlend gelber Felder.
Überhaupt wirkt der Comic dort am originellsten, wo die Künstlichkeit der grellen Farben, der eher grobe Strich und die Umgangssprache der deutsch-schweizerischen Figuren aufeinandertreffen.

Beziehungsprobleme mal anders


Seine größte Stärke beweist Martin Oesch, wenn er das Zwischenmenschliche in den Blick nimmt. Und damit die zweite Ebene der titelgebenden Fleischeslust. Erwins Frau Margrit lässt er in einem Nebenstrang ebenfalls in eine Sinnkrise abgleiten. Ihr Alltag langweilt sie. 

Margrit: In vierzig Jahren Ehe geht halt einiges vergessen... schade eigentlich. (...) Der Erwin hat immer nur die Arbeit im Kopf. Da is er voller Leidenschaft. Manchmal wünsch ich mir...er würde mich mit derselben Leidenschaft wieder einmal anfassen. Er dürfte ruhig mal zupacken.

Quelle: Martin Oesch – Fleischeslust



Margrits Tagträumerei hält Martin Oesch auf einer hinreißend komischen Seite fest: Er zeichnet sie dabei als Rollbraten in Erwins Händen. Was leicht zu Klamauk hätte werden können, ist nur eine Nuance in einer Beziehung, in der wortlose Vertrautheit, Mangel an Empathie und eine Spur Eifersucht einander die Waage halten.
Dass am Ende Hoffnung über der Metzgerei liegt, obwohl offen bleibt, wie es weitergeht – das spricht für die Feinfühligkeit des Comic-Debütanten Martin Oesch. Bei allem Pro und Contra ums Fleisch verliert er seine Figuren nie aus den Augen.
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