Ex-Bosnien-Beauftragter zu Dayton-Jahrestag kritisch
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Der Friedensschluss von Dayton zu Beendigung des Bosnien-Krieges jährt sich am heutigen Freitag zum 30. Mal. Der Friedensvertrag “machte jeden glücklich und unglücklich zugleich”, erinnert sich der langjährige frühere Bosnien-Beauftragte Valentin Inzko im APA-Gespräch. “Ich habe mir mehr erwartet und wurde bitterlich enttäuscht”, bilanziert Inzko die Entwicklung seit 1995 und sieht Raum für Neuverhandlungen. Dayton sei “sicherlich nicht” in Stein gemeißelt, betont er.
Er sei damals persönlich von einer Entwicklung wie nach dem Zweiten Weltkrieg in Österreich ausgegangen, als die zuvor verfeindeten politischen Lager gemeinsam ein modernes Land aufbauten, erinnert sich der Kärntner Diplomat. “Im Gegensatz dazu hat eine Anzahl von führenden Politikern (in Bosnien) den Frieden dazu missbraucht, um die Kriegsziele mit politischen Mitteln fortzusetzen.”
Neue Friedenskonferenz wäre “zu schön, um wahr zu sein”
Inzko äußert in diesem Zusammenhang Sympathien für eine neuerliche Friedenskonferenz zur Beendigung der chronischen politischen Krise im Balkanland. “Das wäre zu schön, um wahr zu sein. Ich hoffe, ich werde das noch erleben, mit der gegenwärtigen Politikergarnitur bin ich aber skeptisch.” Denn auch für Bosnien gelte die Binsenweisheit: “Die Probleme, die wir in Bosnien haben, können nicht von jenen Politikern gelöst werden, die sie geschaffen haben.”
Der Friedensvertrag wurde am 21. November 1995 unter massivem Druck der USA vom bosnischen Präsidenten Alija Izetbegović mit den Staatspräsidenten Serbiens, Slobodan Milošević, und Kroatiens, Franjo Tuđman, akkordiert. Sie repräsentierten die drei verfeindeten Volksgruppen des Landes, Bosniaken, Serben und Kroaten. Die offizielle Unterzeichnung erfolgte am 14. Dezember 1995 in Paris. Zuvor waren die bosnischen Serben unter anderem durch NATO-Luftangriffe militärisch in die Defensive geraten. Trotzdem gestalteten sich die Vermittlungsgespräche schwierig. “Erst in Dayton Ohio, einem Militärstützpunkt, kam der Durchbruch, als angeblich schon die Koffer auf den Gängen standen, bereit zur Abreise ohne Erfolg”, so Inzko.
Internationale Kräfte “basierend auf leeren Versprechungen zu früh nach Hause geschickt”
Die Beendigung des Krieges sei eine “gewaltige Leistung” gewesen, doch habe der Dayton-Vertrag “gleichzeitig den zerstrittenen Parteien enorme Blockademöglichkeiten gegeben”. Damals sei eine stufenweise Stärkung des Gesamtstaates angedacht gewesen, doch habe sich die internationale Gemeinschaft zu rasch aus dem Land zurückgezogen. “So wurden die Friedenstruppen auch aus finanziellen Gründen schrittweise abgebaut, es wurden internationale Richter und Staatsanwälte basierend auf leeren Versprechungen zu früh nach Hause geschickt und es wurde das Amt des Hohen Repräsentanten systematisch geschwächt”, so Inzko, der diese Funktion von 2009 bis 2021 inne hatte.
Kritisch sieht Inzko Forderungen nach einer Abschaffung des Hohen Beauftragten – jüngst etwa auch von seinem Landsmann Wolfgang Petritsch geäußert, der diese Funktion selbst von 1999 bis 2002 innehatte. Insbesondere die serbischen, aber auch kroatischen Politiker hätten dies wiederholt gefordert mit der Begründung, “man könne alleine Lösungen finden”. “Dass dies nur leere Worte waren, haben die letzten dreißig Jahre bewiesen, als den lokalen Akteuren dazu wiederholt und vermehrt Gelegenheit gegeben wurde – wie kürzlich, als das Budget für das Jahr 2025 im November 2025 beschlossen wurde”.
Zudem habe der Hohe Beauftragte auch die Aufgabe, die bosnische Verfassung auszulegen. “Man müsse bei einer Abschaffung deshalb auch die Verfassung ändern. Dazu wäre aber ein gewaltiger Kraftakt notwendig beziehungsweise eine starke Persönlichkeit vom Format Angela Merkel oder Bill Clinton, mit ebenso großer Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft. Das sehe ich aber im Moment nicht.”
Lösungen für Gaza erinnern an Bosnien
Die für den Gaza-Streifen geplanten Friedenslösungen erinnern Inzko an Bosnien. “Der bosnische Friedensimplementierungsrat nennt sich bei Gaza Friedensvorstand, und die Stabilisierungstruppe für Bosnien nennt sich bei Gaza vorübergehende Stabilisierungstruppe”, so der Diplomat. Befragt zu den Lehren aus Dayton für andere Friedensschlüsse, etwa auch in der Ukraine, nennt Inzko die zeitliche Perspektive. “Jedenfalls sollten die Truppen als Langzeitmission betrachtet werden und eine beträchtliche und relevante Stärke aufweisen.”
Inzko geriet in seiner Amtszeit wiederholt mit dem bosnischen Serbenführer Milorad Dodik aneinander, der heuer nach einem Gerichtsurteil wegen sezessionistischer Aktivitäten sein Amt als Präsident des Teilstaates Republika Srpska aufgeben musste. “Dodik ist am Ende. Er ist der buchstäbliche Krug, der so lange zum Brunnen geht, bis er bricht”, sagt der Diplomat. “Nach Dodik kommt vielleicht wieder ein Dodik, aber niemand wird so viel Energie aufbringen wie gerade er”, erwartet er nun eine sachlichere Politik seitens der bosnischen Serben. Auch ein Machtwechsel in Serbien selbst dürfte sich “positiv, extrem positiv” auf die Lage in Bosnien-Herzegowina auswirken.
Inzko erinnert daran, dass er selbst von der Jugendorganisation Dodiks “mehrere Morddrohungen, auch gegen meine Familie” bekommen habe. Seinem Nachfolger als Bosnien-Beauftragten scheint es diesbezüglich nicht besser zu gehen. So habe der bosnisch-serbische Minister für Außenhandel Staša Košarac dem Deutschen Christian Schmidt kürzlich einen SS Stahlhelm geschickt und ihn sowie seine Vorfahren als Nazis beschimpft habe. “Wie soll die Politik funktionieren, wenn solche Typen hohe Funktionen bekleiden?”, empört sich der österreichische Diplomat. “Wir werden noch viel Geduld brauchen, dürfen aber niemals aufgeben. Und natürlich solidarisiere ich mich inniglich mit meinem Nachfolger.”
(Das Gespräch führte Stefan Vospernik/APA)
(APA)




