DiscoverradioWissenGefühle wagen! Für mehr Berührbarkeit und Verletzlichkeit
Gefühle wagen! Für mehr Berührbarkeit und Verletzlichkeit

Gefühle wagen! Für mehr Berührbarkeit und Verletzlichkeit

Update: 2024-12-201
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Description

Gefühle gehören ins Private, m Job hingegen muss man sich einen dicken Panzer zulegen - so der Mythos. Gefühle wie Angst oder Ohnmacht gelten als unprofessionell. Doch der Preis dieser "Unberührbarkeit" ist hoch: Abstumpfung auch gegenüber den schönen Gefühlen. Von Karin Lamsfuß


Credits
Autorin dieser Folge: Karin Lamsfuß
Regie: Irene Schuck
Es sprachen: Katja Amberger, Stefan Wilkening
Technik: Lorenz Kersten
Redaktion: Bernhard Kastner


Im Interview:
Dr. Andrea Dederichs, Psychologin
Dr. Christoph Quarch, Philosoph
Prof. Giovanni Maio, Medizinethiker Uni Freiburg
Dirk Breitenbach, ehemaliger Polizist und Polizei-Poet
Renate Langenbach, Anästhesistin und Palliativmedizinerin
Hubert Liebertz, ehemaliger Schlachter


Und noch eine besondere Empfehlung der Redaktion:

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ZUM PODCAST



Linktipps:


www.polizei-poeten.de


Literatur:


Giovanni Maio: Ethik der Verletzlichkeit, Herder 2024


Ankündigung: Barbara Schmitz: Offenheit und Berührbarkeit: Neue Wege zu Verletzbarkeiten und Resilienz, erschein am 12.2.2025


Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.


Radiowissen finden Sie auch in der ARD Audiothek:
ARD Audiothek | Radiowissen
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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.


Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:


O-Ton 1 Dirk Breitenbach, liest vor (0‘11“): 


Mein Blick fällt auf die laut tickende Wanduhr. 4:30 Uhr. Wann bin ich gestern nach Hause gekommen? Halb zwölf? Oder war es doch erst heute Morgen? Heute kommt die sechste Schicht in Folge. 


Musik hochziehen


O-Ton 2 Breitenbach, liest eigenen Text vor (0‘06“): 


Jetzt schnell umziehen und nach Hause. Ich möchte meiner Frau möglichst gut gelaunt entgegentreten. Was kann sie für meine Erlebnisse? 


Sprecherin: 


Dirk Breitenbach, ehemaliger Polizist. Und Mitglied der Polizei-Poeten: einem deutschlandweiten Netzwerk von Polizisten, die ihre belastenden Erfahrungen nicht verdrängen und abspalten, sondern aufschreiben und im Netz veröffentlichen. Und so ein anderes Bild von vermeintlich knallharten Profis erschaffen.


O-Ton 3 Dirk Breitenbach, liest eigenen Text vor (0‘20“): 


Auf ihre Frage nach dem Tag antworte ich nur, dass viel zu tun war. Hätte ich Ihr alle Gefühle berichten sollen, die Angst etwas verkehrt zu machen? Die Angst davor sich die Verletzungen der anderen ansehen zu müssen, die Angst davor bei einer Einsatzfahrt, oder sonst wie selber verletzt zu werden? Die Angst der Hilflosigkeit oder der Aggressivität anderer nicht adäquat begegnen zu können.


Klänge weg


O-Ton 4 Dirk Breitenbach (0‘24“)


Ich glaub, wir sind schon ziemlich stark. Nur die Art dessen, was auf uns einwirkt. Die Schrecklichkeit, die Intensität dessen, die Vielfalt, die Menge, das verlangt dann auch von einem starken Menschen auch tatsächlich das Allerletzte ab. Weil was wir in einer Woche oder einem Monat erleben, haben viele vielleicht in ihrem ganzen Leben nicht an schrecklichen Dingen, selbst wenn wir nicht stark sind, sind wir immer noch stark. 


Sprecher: 


Es gibt so etwas wie ein gesellschaftlich akzeptiertes, ungeschriebenes Gesetz: Im Job und generell im öffentlichen Leben sind vor allem positive Gefühle akzeptiert wie Freude oder Stolz. Vielleicht auch noch Wut. Was zählt, ist ein starker Intellekt. Gepaart mit Tatendrang, Zielstrebigkeit, Entschlossenheit und Durchsetzungsfähigkeit. Eine funktionierende Hülle also. Alle unliebsamen Gefühle wie Angst, Verzweiflung, Verzagtheit, Scham werden ins Private verbannt. 


O-Ton 5 Andrea Dederichs (0‘19“): 


Warum tun wir so, als wären wir zu 90 Prozent am Tag bewusste, kognitive Wesen, und diese 10 Prozent Emotionen, mit denen wir nicht umgehen können oder wollen, die sperren wir entweder ein oder bagatellisieren sie, auf jeden Fall aber wollen wir sie kontrollieren.


Sprecherin: 


Dr. Andrea Dederichs ist Psychologin, Emotionsforscherin und Professorin an der Polizeiakademie. Sie schult unter anderem Beamte des Sonder-Einsatz-Kommandos in emotionaler Kommunikation. Trainiert mit ihnen, eine angemessene Sprache für den Druck, den Stress und manchmal auch ihre Todesangst zu finden.


O-Ton 6 Andrea Dederichs (0‘29“): 


Wir machen Folgendes: Wir sagen „Jetzt ist Professionalität, also Emotionen dürfen nicht rauskommen, und was machen wir dann mit diesem aufgestauten emotionalen Ballast? Den wir auch als Ballast wahrnehmen und nicht als etwas, das einfach zu uns gehört? Wir gehen damit in die Privatheit, und wenn’s richtig scheiße gelaufen ist in unserem vernunftbegabten, kognitiven Tag, dann wird’s auch richtig scheiße im Privaten, weil es sich da nämlich komplett entlädt an Ort und Stelle – wo es nicht hingehört!


Sprecher: 


Fühlen ist in der Öffentlichkeit nicht besonders beliebt. Tränen fließen eher im geschützten, privaten Raum. Fühlen heißt auch immer: durchlässig zu sein. Nackt und ungeschützt. 


O-Ton 7 Dirk Breitenbach, unter Musik, liest eigenen Text vor (0‘14“):  


Ich weiß jetzt wieder, warum ich Unfälle hasse. Du weißt nie, welcher Schrecken auf Dich wartet. Ist es nur zerknülltes Blech, oder müssen wir Gliedmaßen suchen? Kurz überkommt mich Panik. Das habe ich immer, wenn ich damit rechnen muss, dass es gleich blutig oder sonst wie erschreckend wird.


Musik kurz hoch


O-Ton 8 Dirk Breitenbach, unter Musik, liest Text vor (0‘16“): 


Was hätte ich sagen sollen? „Jungs, es war nett mit Euch, aber ich habe gerade das Gefühl von Hilflosigkeit und kann außerdem nicht so gut Blut sehen. Ich würde jetzt gerne wieder fahren. Ich bitte euch, habt Mitleid mit mir?!“ 


PAUSE


Ich schaue zum Notarzt. Unsere Blicke treffen sich. Wortlos schüttelt er seinen Kopf und wendet sich ab. 


O-Ton 9 Andrea Dederichs (0‘36“): 


Das ist natürlich ne ganz extreme Situation, auf die man Menschen auch nicht komplett vorbereiten kann. Selbst Leute, die professionell in solchen Berufen arbeiten, also Polizisten, Feuerwehrleute, Sanitäter… in so einem Moment passiert eigentlich etwas, was Schutz ist. Und Dinge, die wir in einem Moment vielleicht nicht verarbeiten können, wo vielleicht auch zu viele unterschiedliche Eindrücke aufeinanderprallen, und wir können es nicht mehr sortieren, da macht unsere Psyche so eine Art Cut und verschließt das.


Sprecherin: 


Die Psychologin Andrea Dederichs sagt: emotional berührbar sind wir sowieso. Immer. Die Frage ist nur, wie wir damit umgehen. 


O-Ton 10 Andrea Dederichs (0‘20“): 


Bei solchen Berufen würde ich mir wünschen, dass es jede Woche ein Forum gibt, unabhängig vom Anlass, dass Menschen darüber sprechen, was sie gerade für Schwierigkeiten haben im Job, aber was auch gut läuft. Also dass es wirklich ritualisiert wird, über die eigenen Emotionen im professionellen Kontext zu sprechen. 


Sprecher: 


Gemeint ist dabei jedoch nur die echte, authentische Emotion. Also sind nicht diejenigen, die auf Knopfdruck während der Konferenz in Tränen ausbrechen, weil sie gerade ihren Willen nicht durchsetzen konnten. Oder die mit ewigen Dramen versuchen, andere zu manipulieren.  


Musikakzent


Sprecher: 


Die Frage nach der Berührbarkeit, dem Eingeständnis der eigenen Verletzlichkeit stellt sich in vielen Berufen. Sie taucht überall dort auf, wo Menschen mit dem Leid anderer konfrontiert sind: nicht nur bei Polizisten, Feuerwehrleuten und Rettungskräften, auch bei Profis, die in medizinischen, therapeutischen und sozialen Berufen arbeiten.


Sprecherin:


Der Philosoph Dr. Christoph Quarch hat an einer Fachhochschule für pädagogische Berufe das Fach Ethik unterrichtet:


O-Ton 11 Christoph Quarch (0‘26“): 


Da gibt es eine Doktrin, die sagt: Du musst dich von jeder emotionalen Bildung zu deinen Klienten freihalten. In dem Bereich würde ich dem vehement widersprechen. Ich glaube, dass man als Pädagoge und auch als in sozialen Berufen tätiger Mensch seine Arbeit nicht machen kann, ohne ein hohes Maß an Empathie und Berührbarkeit und auch Mitgefühl zu kultivieren. 


Sprecher: 


Nur wer nichts fühlt, ist stark. Vermeintlich. Fühlen macht schwach, angreifbar, verwundbar. So empfinden es viele.


O-Ton 12 Christoph Quarch (0‘37“): 


Generell würde ich sagen ist das Gefühl in der Arbeitswelt ein ganz entscheidender Faktor. Und nicht nur in sozialen Berufen und nicht nur in Pflegeberufen. Das Gleiche gilt für ne Bank und für ne Versicherung, und am Ende gilt’s wahrscheinlich auch sogar für die Justiz und von mir aus sogar für die Bundeswehr!


Auf der anderen Seite würde ich eben doch sagen: Wenn man sich jetzt emotional völlig fallen lässt und sich ohne Rücksicht auf Verluste von seinen Emotionen auch davontragen

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Karin Lamsfuß