Was ist Synästhesie?
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50 - Was ist Synästhesie?
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Transkription des Textes
„Was ist Synästhesie?“
Synästhesie kommt relativ häufig vor. Menschen, die mit „verschmolzenen Sinnen“ leben nennt man Synästhetiker. Manche Synästhetiker können Buchstaben fühlen oder Worte schmecken. Andere können Töne in bunten Farben sehen, „Farbenhören“, was zu den häufigsten Synästhesieformen zählt. Es gibt deutlich mehr synästhetisch veranlagte Frauen als Männer, schätzungsweise 3:1 bis 7:1. Nicht alle Synästhetiker merken etwas von ihrer „Gabe“.
Man muss bewusst wahrnehmen, um Synästhesie zu erleben. Das Wort Synästhesie ist abgeleitet von den altgriechischen Wörtern syn (zusammen) und aisthesis (Empfinden). Untersuchungen und Erfahrungen zeigen, dass bestimmte Phänomene bei Synästhetikern gehäuft vorkommen. Dazu gehören Hochbegabung und erhöhte Kreativität ebenso wie Geräuschsensibilität oder Aufmerksamkeitsprobleme.
Farben hören, Worte schmecken? Wie erklärt man dieses Phänomen?
Nun, manche Menschen verfügen über Synästhesien. Das sind zusätzliche neurologische Kanäle zwischen den verschiedenen Sinnen. Im „Psychologischen Wörterbuch“ von Dorsch ist Synästhesie definiert als Mitempfindung, d. h. das gleichzeitige Empfinden von zwei verschiedenen Eindrücken bei Reizung eines Sinnesorgans. Synästhesie ist eine spezifische, neuronale Vernetzung im Gehirn. Dadurch können mehrere Sinne gleichzeitig aktiviert werden. Wenn ein Sinnesorgan gereizt wird, entsteht im Normalfall ein Eindruck. Nicht aber bei Synästhetikern: Bei ihnen verursacht ein Impuls zwei oder mehrere Eindrücke.
Was läuft im Hirn eines Synästhetiker anders?
Bis jetzt konnte diese Frage noch nicht beantwortet werden. Wissenschaftler haben aber festgestellt, dass gewisse Dinge im Hirn eines Synästhetiker anders laufen. So konnte man feststellen, dass wenn ein Synästhetiker ein Wort hört, Hirnregionen aktiviert werden, die eigentlich für das Sehen von Farben zuständig sind. Wahrscheinlich ist Synästhesie eine umgeschaltete oder zusätzliche Verbindung des neuronalen Systems.
Wie lange beschäftigt man sich wissenschaftlich mit Synästhesie?
Das Phänomen der Synästhesie ist schon seit etwa 300 Jahren bekannt. Der Vorreiter und eine bedeutende Figur für die weitere Erforschung der Synästhesie war Richard E. Cytowic, ein Neurologe aus den USA. Er machte sich in den 1980er Jahren daran, dieses Phänomen zu untersuchen, nachdem er auf einer Party einen Synästhetiker kennengelernt hatte. Seit den 1990er Jahren beschäftigt man sich mit dem Phänomen der Synästhesie auch in deutschen Instituten. In der Abteilung „Klinische Psychiatrie und Psychotherapie“ der Medizinischen Hochschule Hannover wurde 1996 eine Arbeitsgruppe von wissenschaftlichen Mitarbeitern gebildet, die sich mit der Synästhesie beschäftigten. Bald schon wurde in Hannover ein Synästhesie-Café eröffnet, welches Synästhetikern die Möglichkeit gibt, ihre Erfahrungen untereinander auszutauschen. Auch an der Universität Magdeburg, Leipzig und Zürich gibt es Synästhesie-Projekte.
Ist Synästhesie genetisch bedingt?
Es ist keine Seltenheit, dass Synästhetiker in ihrer Familie noch weitere Synästhetiker finden. Es wird vermutet, dass das Phänomen durch eine Anlage auf dem X-Chromosom ausgelöst werden könnte oder aber, dass hormonelle Faktoren bei der Steuerung der Gehirnentwicklung beteiligt sind. Aufgrund der Häufung in Familien wird eine Erblichkeit angenommen.
Welche Synästhetiker sind in der Überzahl: Frauen oder Männer?
Frauen sind synästhesiebegünstigter. Man hat ein Verhältnis von 8:1 angenommen. Unsere Untersuchungen haben aber ergeben, dass zwei Drittel der synästhetisch begabten Menschen Frauen sind. Es hat sich auch gezeigt, dass sich Frauen häufiger für Synästhesie interessieren als Männer. Dies könnte damit zusammenhängen, dass Männer im Allgemeinen eher weniger über Gefühle und Wahrnehmungen sprechen als Frauen.
Wie häufig ist Synästhesie?
Es gibt eine große Diskussion über dieses Thema. Die Schätzungen reichen von 1:25 00 bis zu 1:30 0. Andere denken, dass die Häufigkeit um die 3 % liegen könnte. Unsere kleinen Untersuchungen haben ergeben, dass es sehr viel mehr Synästhetiker gibt: ca. 10 %. Aber um eine wirklich relevante Aussage machen zu können, müsste man eine Untersuchung mit mehreren tausend Personen durchführen.
Wie viele verschiedene Arten von Synästhesie gibt es?
Traditionellerweise glaubt man, dass es fünf-verschieden
Sinne gibt: Sehen, Hören, Berühren, Riechen und Schmecken. Wenn man die Anzahl der verschiedenen Paarungsmöglichkeiten, beispielsweise sehen – hören, sehen – berühren etc. ausrechnen würde, dann bekäme man 20 potenzielle Typen von Synästhesie. Aber da gibt es noch unzählige weitere Möglichkeiten, denn die essenziellen Sinne können in noch mehr Dimensionen unterteilt werden. So für das Musik-Sehen: Jemand sieht die Musik mit Farben, ein anderer in Formen und wieder ein anderer beides zusammen. Es gibt auch abstrakte Dinge, die man synästhetisch erfassen kann, obwohl sie nicht mit den 5 Sinnen zusammenhängen, so wie Buchstaben oder Wochentage. Es macht also keinen Sinn, zu sagen, wie viele Synästhesietypen es gibt. Jedenfalls sehr viele.
Welche Art von Synästhesie ist am häufigsten?
Diese Frage lässt sich nicht so einfach beantworten. In der Literatur findet man verschiedene Ansichten. Man kann sagen, dass die graphemische Synästhesie, also Buchstaben, Zahlen zu sehen oder zu hören sehr häufig ist. Dies gilt auch für Musik-Sehen.
Hat ein Synästhetiker nur einen Typ der Synästhesie?
Nein, die meisten Synästhetiker haben mehr als eine Art von Synästhesie. So können verschiedenste Sinne miteinander gekoppelt werden. Es ist möglich, Worte zu schmecken, Gerüche zu hören oder Musik zu sehen. Meistens ist es aber nicht einfach, zu erkennen, was für Synästhesien man hat. Wir haben bemerkt, dass Synästhetiker offen aussagten, dass sie eine gewisse Synästhesie nicht besitzen, bis man ihnen sagte, sie sollen konzentriert und bewusst wahrnehmen. Es braucht eine bewusste Verbindung zu einem selbst, um Synästhesien zu erkennen.
Hat man durch Synästhesie einen Vor- oder Nachteil?
Synästhetiker sollen öfters überdurchschnittlich intelligent und kreativ sein. Synästhesie befähigt zu komplexerem Denken, Fühlen und Wahrnehmen. Synästhetiker haben oft die Fähigkeit, Nummern
und Texte ziemlich schnell auswendig lernen zu können, denn sie haben zusätzliche Sinne wie Bilder und Farben, die z. B. den Lernvorgang unterstützen. Unter Künstlern kommt Synästhesie auch häufig vor. Untersuchungen haben gezeigt, dass die Häufigkeit von Synästhetikern in einer höheren Schule viel größer ist, als unter der gesamten Bevölkerung. Es gibt aber auch Nachteile, da synästhetisches Wahrnehmen intensiver ist. Dieser Umstand kann zu einer Reizüberflutung führen. Auch farbige Buchstaben und Nummern sind manchmal verwirrend, denn zwei Buchstaben mit gleicher Farbe können vertauscht werden. Die meisten Synästhetiker können es sich nicht vorstellen, ohne Synästhesie zu leben. Und doch fühlen sie sich nicht als etwas Spezielles, denn für sie ist die Wahrnehmung, wie sie sie erleben, absolut normal.
Kann man Synästhesie verlieren oder erwerben?
Ja. Es sind Synästhetiker bekannt, die nach einem Schlaganfall ihre Synästhesie verloren haben. Ebenfalls hat es sich gezeigt, dass ältere Synästhetiker mehr Mühe haben, ihre Synästhesie wahrzunehmen. Und scheinbar kann man Synästhesie auch erwerben, aber die Eigenschaften von erworbener Synästhesie sind anders als die genuine, also echte Synästhesie. Halluzinogene
Drogen wie LSD, Zauberpilze und Meskalin rufen synästhesieähnliche Zustände hervor, die aber nach dem Ende des Trips wieder verschwinden.
Haben auch Tiere Synästhesie?
Zuerst muss man sagen, dass auch Menschen Tiere sind. Menschen haben ein wenig mehr Hirn als andere Tiere. Aber die Fähigkeit zu denken, wie es die menschliche Spezies macht, ist auch nur eine evolutionäre Adaption an unsere Umwelt. Synästhesie, so wird vermutet, ereignet sich im limbischen System,
welches zu den ältesten Hirnregionen gehört und bei allen Wirbeltieren vorhanden ist. Daher kann man annehmen, dass auch andere Tiere Synästhesie erleben. Hunde sehen z. B. nicht sehr gut, haben aber ein sehr feines Riechorgan. Die Nase übernimmt die Funktion der Augen. Fledermäuse orientieren sich mittels Ultraschall. Sie sehen mit dem Gehör. Über die Frage, ob Tiere Synästhesie haben, wurde noch keine wissenschaftliche Untersuchung geführt. Es wäre aber ein Akt der menschlichen Arroganz gegenüber den anderen Lebewesen zu glauben, dass Synästhesie nur der Menschheit vorbehalten sei.