Wirtschaftssysteme
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67 - Wirtschaftssysteme
21. Wirtschaftssysteme
Transkription des Textes
„Wirtschaftssysteme“
Der Begriff „Wirtschaftssystem“ wurde ursprünglich von Werner Sombart, einem deutschen Volkswirt,
1863–1941, eingeführt und bezog sich auf wirtschaftsgeschichtliche und wirtschaftssoziologische Entwicklungen. Ist die Definition auch noch heute gültig?
Nur teilweise. Heute versteht man unter dem Begriff nicht das gleiche wie zu Zeiten Sombarts. Das Wort „Wirtschaftssystem“ bedeutet jetzt die Ordnung der Gesamtheit des Wirtschaftslebens in einem Land, das nennen wir auch „Volkswirtschaft“. Im Mittelpunkt steht die Koordination der Einzelpläne der privaten und öffentlichen Wirtschaftssubjekte und der Wirtschaftsprozesse. Dabei geht es insbesondere darum, welche Güter, wie viele, wann und wo produziert werden. Des Weiteren ist wichtig, welche Arbeitskräfte und Produktionsmittel an welcher Stelle des Wirtschaftsprozesses eingesetzt werden. Als dritter Faktor gilt schließlich, wie die Ergebnisse des Prozesses verteilt werden.
Der Begriff „Wirtschaftssystem“ bildet also den analytischen Oberbegriff. Wie definiert man dann einen Wirtschaftsprozess?
Der Oberbegriff „Wirtschaftssystem“ beschreibt nach dem systemtheoretischen Ansatz den Wirtschaftsprozess. Der Wirtschaftsprozess ist von den Menschen geformt, und zwar in ihrer Eigenschaft als Produzenten und Konsumenten. Es handelt sich dabei um einen Ablauf der Produktion und des Konsums. Dieser Ablauf wird entweder durch den Markt selbst oder auch zentral gesteuert, zum Beispiel durch die Politik koordiniert.
Wodurch wird dieser Wirtschaftsprozess beeinflusst?
Dieser Wirtschaftsprozess, im Wesentlichen also der
Ablauf der Produktion und des Konsums, wild durch
zwei Faktoren beeinflusst: durch die Wirtschaftsordnung und durch die Wirtschaftsfaktoren. Einerseits wird der Wirtschaftsprozess durch die Wirtschaftsordnung geformt. Diese Wirtschaftsordnung ist einmal die gesetzlich geschaffene Wirtschaftsverfassung; die Frage, was ist legal, was darf man und ferner die gewachsene kulturelle und sittlich-moralische Ordnung, also die Frage, welches Handeln ist moralisch, was tut man nicht, auch wenn es erlaubt ist, wie geht man miteinander um, welche ungeschriebenen Normen gibt es zum Beispiel im Handel. Das gehört alles zur Wirtschaftsordnung. Andererseits wird der Wirtschaftsprozess durch unterschiedliche Wirtschaftsfaktoren beeinflusst. Dazu zählen zum Beispiel die vorhandenen Ressourcen oder das Humankapital.
Nicht alle Wirtschaftssysteme haben sich in gleicher Form entwickelt: Wie kann man die unterschiedliche Entwicklung der Wirtschaftssysteme erklären?
Hinsichtlich der Entwicklung von Wirtschaftssystemen bestehen zwei unterschiedliche Auffassungen: eine geschichtliche und eine politische. Zum einen wird die unterschiedliche Entwicklung dadurch erklärt, dass sich Systeme durch historische Einflüsse anders geformt haben. Die Entwicklung wird also auf geschichtliche Gesetzmäßigkeiten zurückgeführt. Der deutsche Ökonom Walter Eucken hat dies als Denken in geschichtlichen Entwicklungen bezeichnet. Zum anderen wird die Entwicklung von Wirtschaftssystemen als Ergebnis politischer Entscheidungen betrachtet. Das bedeutet im Allgemeinen, dass politische Faktoren die Entwicklung jedes Wirtschaftssystems beeinflussen. Eucken bezeichnete dies als Denken in Ordnungen.
Wie lässt sich das Wirtschaftssystem zum Beispiel von Kultur und Politik abgrenzen?
Da gibt es schon eine klare Linie, mindestens theoretisch. Ein Wirtschaftssystem ist nach der Systemtheorie ein analytischer Oberbegriff für all diejenigen Elemente und Strukturen, die sich als Teil des Gesellschaftssystems von anderen Teilsystemen wie Politik und Kultur abgrenzen lassen. Diese Abgrenzung erfolgt dadurch, dass man versucht, angesichts knapper Güter möglichst effizient die meisten Bedürfnisse zu befriedigen. Es geht um die Frage: Wie erstellt man, verteilt und verbraucht man Güter, so dass die Prozesse effizient ablaufen. Bei Politik und Kultur geht es um andere Ziele, nicht um die Effizienz der Produktion, der Verteilung und des Konsums.
Was gehört zu einem Wirtschaftssystem?
Jedes Wirtschaftssystem hat drei wichtige Bestandteile. Es umfasst erstens die wirtschaftlichen Elemente und Akteure, vor allem private und öffentliche Haushalte sowie Unternehmen, und deren Verfügungsgewalt über Produktions- und Verbrauchmittel. Hinzu kommen zweitens die wirtschaftlichen Beziehungen. Unter dem Begriff„wirtschaftliche Beziehungen“ versteht man die Produktions-, Distributions- und Konsumprozesse in und zwischen den Wirtschaftseinheiten. Und schließlich ist drittens die wirtschaftliche Ordnung Bestandteil des Wirtschaftssystems. Diese wirtschaftliche Ordnung entsteht aus dem Zusammenwirken der Elemente und der Akteure und sie beruht auf den institutionellen Regeln
bezüglich Eigentum, Vertrag, Markt und Tausch.
Welche Aufgaben umfasst ein Wirtschaftssystem?
Allgemein gesagt umfasst jedes Wirtschaftssystem die Erstellung, die Verteilung und den Verbrauch von Gütern unter dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit. Ziel ist die Befriedigung des privaten und öffentlichen Bedarfs. Ein Wirtschaftssystem hat viele Aufgaben zu erfüllen. Als wichtigste wäre die Zuordnung der ökonomischen Entscheidungsbefugnisse zu nennen. Im Wesentlichen geht es dabei um die Frage: Wer entscheidet – das Individuum oder die Behörde? Eine andere Aufgabe ist die Kontrolle der sachgemäßen Verwendung der Produktionsmittel, anders gesagt, wer kontrolliert und wer entscheidet – der Markt und der Wettbewerb oder der Staat und die Planung? Eine dritte Aufgabe wäre die Information der Wirtschaftssubjekte über ökonomisch relevante Fakten. Wie werden Preise gebildet – frei oder staatlich festgesetzt? Aber auch das Anreizen der Wirtschaftssubjekte zu effizientem und innovativem Verhalten und die Koordination der Planungen und Handlungen der Wirtschaftssubjekte im arbeitsteiligen Wirtschaftsprozess sind wichtige Aufgabenbereiche.
Wirtschaftssysteme unterscheiden sich voneinander. Was sind die wesentlichen Formen?
Alle Wirtschaftssysteme besitzen eine Struktur oder eine Ordnung. Die letzte hängt von den ökonomischen Ordnungsprinzipien, den Mechanismen und Regelungen ab. Die praktizierte Wirtschaftspolitik und die verfolgte Ordnungspolitik verändern das Wirtschaftssystem wesentlich. Infolgedessen sind als grundsätzliche Formen zwei zu nennen: die Marktwirtschaft und die Zentralverwaltungswirtschaft,
auch Planwirtschaft genannt. Für die Marktwirtschaft sind charakteristisch: das Privateigentum an Produktionsmitteln, die Preisbildung durch Angebot und Nachfrage und eine dezentrale Planung der Wirtschaftsprozesse. Die Zentralverwaltungswirtschaft oder die Planwirtschaft kennzeichnet sich zum Beispiel durch das Kollektiv- oder Staatseigentum an Produktionsmitteln, festgelegte Preise und Löhne und eine zentrale Planung der Wirtschaftsprozesse.
Kann man jedes Wirtschaftssystem einem dieser Typen zuordnen?
Nein, es gibt eine Vielzahl von Wirtschaftssystemen. In der Realität treten fast ausschließlich Mischformen auf. Diese zwei Formen sind idealtypischer Natur: der Kapitalismus und der Sozialismus. Zudem gibt es gesellschaftstheoretische und gesellschaftspolitische Versuche, einen Dritten Weg zwischen Kapitalismus und Sozialismus zu verwirklichen. Die Sehnsucht nach einer Versöhnung dieser beiden Formen kommt beispielhaft zum Ausdruck in der „humanen Wirtschaftsdemokratie“ des tschechisch-schweizerischen Wirtschaftswissenschaftlers Ota Sik, oder in der „regulierten Marktwirtschaft“ von Michail Gorbatschow. Auch die „soziale Marktwirtschaft“, die sich als Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland und der Bundesrepublik Österreich etabliert hat, ist eine Mischform.