Der Traum vom Weltfrieden - Der chinesische Utopist Kang Youwei
Description
Eine Weltgemeinschaft in Frieden und Gerechtigkeit, ohne Diskriminierung und Ausbeutung, ohne Hierarchien und Grenzen. Diese Utopie hat der Philosoph und Reformer Kang Youwei um 1900 in China niedergeschrieben. Seiner Zeit weit voraus schuf er eine Philosophie, die zum Weltfrieden führen sollte. Autor: Thomas Grasberger (BR 2021)
Credits
Autor dieser Folge: Thomas Grasberger
Regie: Sabine Kienhöfer
Es sprachen: Hemma Michel, Christian Baumann, Friedrich Schloffer
Technik: Regine Elbers
Redaktion: Bernhard Kastner
Im Interview:
Thomas Heberer (Professor für Politik und Gesellschaft Chinas an der Universität Duisburg-Essen)
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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
Musik: M0007510001 Imperial city 1‘00
Erzähler
Als der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Dezember 2018 zum Staatsbesuch in die Volksrepublik China reiste, stand auf dem Programm auch ein Besuch der Sichuan-Universität in Chengdu. In seiner Rede appellierte Steinmeier an die Studierenden:
Zitator
„Nutzen Sie das, wofür Generationen gekämpft haben – eine globale Ordnung, die Frieden und Zusammenarbeit erst möglich macht!“
Erzähler
In einer Zeit, in der nationale Egoismen und Konflikte weltweit auf dem Vormarsch sind, erinnert der deutsche Bundespräsident also an das Gemeinsame. Und zitiert einen chinesischen Gelehrten namens Kang Youwei, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine bedeutende Schrift verfasst hat.
Das „Datongshu“, die Utopie einer „Großen Gemeinschaft“,
Zitator
„die die Grenzen von Nation, Rasse, Geschlecht und Hierarchie überwindet.“
Erzählerin:
Den Studierenden der Sichuan-Universität dürfte der Name Kang Youwei geläufig gewesen sein. Schließlich gilt er als eine der bedeutendsten Persönlichkeiten des modernen China. Manche sehen in ihm gar den „Martin Luther der konfuzianischen Lehre“. Und Chinas Parteichef Xi Jinping lobt Kang immer wieder als einen fortschrittlichen Denker.
ZSP 1 aktuell in China 0,20
In China ist Kang Youwei und sein Begriff des "Datong" Gegenstand der permanenten Auseinandersetzung über ein neues Wertesystem, ein innerchinesisches Wertesystem, aber auch ein globales Wertesystem. Nur bei uns spielt diese Debatte in China keine Rolle, weil sie auch gar nicht bekannt ist.
Erzähler:
Deshalb hat Thomas Heberer, Professor für Politik und Gesellschaft Chinas an der Universität Duisburg-Essen, die Schrift von Kang Youwei neu herausgegeben: „Datongshu“ - „Das Buch von der Großen Gemeinschaft“ sucht Antworten auf höchst aktuelle Fragen.
Erzählerin:
Wie werden wir in Zukunft zusammenleben? In Frieden und Gerechtigkeit? Oder im Chaos?
Musik: CD603340003 Waves 0‘25
Die Menschheit ist zur Schicksalsgemeinschaft geworden. Größere Konflikte könnten schnell unsere letzten sein. Die globalen Probleme gemeinsam zu lösen, ist heute also eine Überlebensfrage.
Erzähler:
Kang Youwei hat das bereits vor mehr als 100 Jahren erkannt. Und seine Anleitung zum Weltfrieden geschrieben. Inspiriert wurde er zu dieser Utopie schon in jungen Jahren. Kang las ein Buch über die „Schlacht bei Sedan“, die im deutsch-französischen Krieg 1870/71 stattfand. Diese Lektüre erschütterte den jungen Mann sehr; das „große Leid der Welt“ verfolgte ihn bis in seine Träume, sagt Thomas Heberer.
ZSP 2 Sedan 0,16
Diese Brutalität dieser Schlacht, und die vielen Soldaten, die dort gestorben sind, haben in ihm ein bestimmtes Nachdenken hervorgerufen, dass man eigentlich Friede in der Welt braucht und dafür sorgen muss, dass Kriege abgeschafft werden. Das war wohl ein Schlüsselerlebnis.
Musik: CD603340008 Song oft he dragon and phoenix 0‘42
Erzählerin:
Geboren 1858 in einem Dorf in der südchinesischen Provinz Guangdong, wächst Kang Youwei in einer angesehenen Familie von gelehrten Beamten auf. Es versteht sich von selbst, dass auch er eine klassisch-konfuzianische Erziehung genießen und die Beamten-Laufbahn einschlagen soll.
Erzähler:
Doch das enge Korsett des alten Konfuzianismus, mit seinem starren Pauken und auswendigen Herunterbeten von Texten, passt dem jungen Kang gar nicht. Er zieht sich zurück und studiert die großen Philosophien des Ostens, den Taoismus und den Buddhismus.
ZSP 3 Visionär 0,32
Er hat diese verschiedenen religiösen und philosophischen Komponenten Chinas alle studiert, weil er als junger Mann auf der Suche war nach einer Vision. Und um auf der Suche nach einer Vision zu sein, ist es ganz wichtig, dass man sich mit den ganzen Geistesströmungen über die Geschichte hinweg auseinandersetzt. Und auch kritisch. Er hat sich ja selbst als ein Visionär begriffen, der die Mission vom Himmel erhalten habe, praktisch eine Utopie zu verfassen für die Menschheit.
Musik: Z9316499107 Through the bamboo forest 0‘32
Erzähler:
China steckte seit der Mitte des 19. Jahrhunderts in einer tiefen Krise. Das Land war in einem desaströsen Zustand, rückständig, politisch verkrustet, gedemütigt und schikaniert von ausländischen Mächten. Nach einer Reihe militärischer Niederlagen gegen England, Frankreich, Japan und Russland war klar: China brauchte ein umfassendes gesellschaftlich-politisches Reformprogramm und eine weitreichende Vision.
Erzählerin:
Kang Youwei sollte zu einem Vordenker dieses Reformprojekts werden. Er schlug zum Beispiel vor, den Konfuzianismus als Kirche neu zu organisieren und zur Staatsreligion zu machen.
ZSP 4 Staatsreligion 0,36
Diese Idee kam ihm von Europa: Der Staat in Europa zuständig für Recht und Ordnung, und die Kirche für die Moral. Das war bei uns getrennt. In China gab es keine Kirche, da war der Staat für alles zuständig, für die Moral und für die Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung. Und dass er wahrscheinlich gesehen hat, das funktioniert besser in Europa. Und wir brauchen eine Institution, die identitätsstiftend wirkt, Sinn gibt. Und auf der anderen Seite auch diese Moralerziehung wahrnehmen kann. Dass der Staat sich auf die Aufgaben konzentrieren kann, die eigentlich seine Kernaufgaben sind, nämlich die Aufrechterhaltung der Ordnung.
Erzähler:
Kangs Idee einer konfuzianischen Staatsreligion wird auch heute wieder ernsthaft diskutiert in China, sagt Ostasienexperte Thomas Heberer. Zu Lebzeiten jedoch wurde Kang Youwei dafür von jungen Intellektuellen kritisiert, dass er die alte Lehre reformieren wollte. Konfuzius war für Kang nämlich keineswegs jener Reaktionär, der für die Rückständigkeit Chinas verantwortlich war. Man müsse ihn halt nur als Reformer lesen und verstehen, meinte Kang Youwei.
Musik: Z9458720002 The eternal vow 0‘35
Erzählerin:
Kangs politischen Reformideen stießen im ausgehenden 19. Jahrhunderts für kurze Zeit auf allerhöchstes Interesse. Der Kaiser selbst begeisterte sich dafür. Aber dieser Kaiser Guangxu war politisch schwach. Und so folgte auf den kurzen Frühling der 100-Tage-Reform bald eine neue Eiszeit. Die konservativen, reform-feindlichen Kräfte am Hof setzten sich durch und schlugen unerbittlich zurück.
ZSP 5 Exil 0,28
Und sie haben diese Reformer verhaftet. Kang Youwei und Liang Qichao ist es gelungen, nach Japan zu fliehen; die meisten anderen sind hingerichtet worden. Darunter ein Bruder Kang Youweis. Er war dann bis zur Revolution 1911/12, Ende der Kaiserdynastie, nicht mehr in China, sondern in Japan und hat auch andere Länder bereist, vor allem Länder, in denen Auslandschinesen gelebt haben, um zu werben für sein Reformprogramm für die Zukunft Chinas.
Erzählerin:
Kang Youwei bereiste fast alle Kontinente, war in über 60 Ländern, allein elf Mal in Deutschland. Als er in München sein erstes Bier trank, war er nachhaltig begeistert - vom Geschmack, den Trinksitten und von den großen Gläsern.
Erzähler:
Erstaunlicher mag erscheinen, dass Kang auch das damalige politische System Deutschlands gut fand. Das konstitutionelle Kaiserreich erschien ihm offenbar fortschrittlich, verglichen mit dem damaligen China. Für die Zukunft jedoch waren Parlamentarismus und Demokratie für Kang die erstrebenswerten politischen Ziele. Weltweit.
Musik: Z803089610