Literarische Radwege in Baden-Württemberg: Auf den Spuren von Grimmelshausen, Mörike & Co.
Update: 2025-08-29
Description
Freitagnachmittag im August. Ich sitze auf dem Rad. Knapp 50 Kilometer liegen vor mir. Zwischen Feldern, Weinbergen und kleinen Ortschaften öffnet sich ein Weg, der mehr ist als eine sportliche Tour: ein literarischer Radweg in Baden-Württemberg.
„Per Pedal zur Poesie" heißt das Projekt vom Literaturarchiv Marbach.
Schirmherr ist Prof. Dr. Thomas Schmidt: „Die Idee für die Literarischen Radwege kam 2008. Sie liegt eigentlich auf der Hand: Wir haben im Südwesten viele schöne Landschaften, die gut mit dem Rad erschlossen sind, und gleichzeitig die reichste Literaturlandschaft Europas – etwa 100 literarische Dauerausstellungen und zahlreiche weitere Orte.
Das wollten wir verbinden: Landschaft und Literatur, auf eine sanfte, den Raum abtastende Weise. Daraus sind die Radwege entstanden. Mittlerweile haben wir elf Routen, drei weitere sind in Planung.“
Radweg Nummer elf führt mich ins Renchtal. Oberkirch, Gaisbach, Renchen, Willstätt – ruhige Weinbaugebiete in der Rheinebene, viel Fachwerk, grüne Felder, reichlich Obstanbau.
Und: Eine reiche Literaturgeschichte. Hier befand sich schließlich, seit kurz nach dem Dreißigjährigen Krieg, die Wahlheimat von Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen, wo er den barocken Abenteuerroman „Simplicissimus Teutsch“ schrieb.
Die Radwege plant das Literaturarchiv eben nicht zufällig, sondern an den wichtigsten historischen Punkten entlang:
„Mindestens zwei, höchstens vier literarische Museen oder Dauerausstellungen sollen an der Route liegen. Mehr wäre für Radler zu viel. Die Länge liegt zwischen 30 und 50 Kilometern. Zunächst orientieren wir uns an den Ausstellungen, dann suchen wir literarische Orte in der Umgebung.“
Damit zurück zu meiner Radtour. Startpunkt: Oberkirch. Im kleinen Stadtmuseum lässt sich mehr über Grimmelshausen und seinen Einfluss auf den regionalen Weinbau erfahren. Schnell weiter geht es aber nach Gaisbach, wo sich im Gasthaus Silberner Stern, das Grimmelshausen einst selbst betrieb, vespern ließe. Vielleicht die bessere Wahl? Denn die nächste Etappe hat es in sich.
Der Anstieg auf die Schauenburg zeigt Zähne. Literaturgeschichte als körperliche Erfahrung. Ich erinnere mich an Schmidts Worte:
„Die Erfahrung prägt sich sinnlich, sogar kinästhetisch – also bewegungssinnlich – ein. Wenn man etwa von Kirchheim/Teck über Ochsenwang nach Bad Boll fährt, dann fährt man auf Mörikes Spuren, aber muss den Albtrauf hoch – das vergisst niemand, auch E-Biker nicht. Die Geschwindigkeit des Rades ist aber beschaulich, man ist mit allen Sinnen dabei. Aber: Ein Radweg muss vor allem schön sein.“
Schön ist die Aussicht auf die Rheinebene. Das macht den Reiz des poetischen Radwegs aus: Natur, Stadtbild und Literatur verbinden sich hier spielerisch miteinander. So lässt sich die Regionalkultur aktiv erleben. Das Projekt wächst bis heute immer weiter, wird modernisiert, meint Schmidt:
„Unter anderem, weil sich in den letzten 17 Jahren Beschilderungsvorschriften und Radwegführungen stark verändert haben. Wir evaluieren die bestehenden Wege, korrigieren die Führungen, beschildern neu, produzieren GPX-Tracks für Komoot und Outdooractive.“
Da Literaturbegeisterte aber bekanntlich auch gerne Viellesende sind, finden sich die Wegbeschreibungen in aufwendig gestalteten Leporellos.
„Darin gibt es Texte, die – wie Ethnologen sagen würden – eine „dichte Beschreibung“ bieten. Was nicht einfach ist, weil die literarischen Spuren oft nicht kausal zueinander stehen. Daraus entsteht ein Essay, der die Landschaft als Literatur-Landschaft zeigt – nicht nur als Natur- oder Weinlandschaft.“
In Renchen gilt es einige Sehenswürdigkeiten zu besichtigen: Das Simplicissimus-Haus, der Fabeltierbrunnen, das Grimmelshausen-Denkmal. Ein Ausblick aufs Jahr 2026 gibt Prof. Dr. Thomas Schmidt:
„Es ist Grimmelshausen-Jahr. In Renchen und Oberkirch finden Sie zentrale Orte zu seinem „Simplicius Simplicissimus“. In Renchen gibt es eine Ausstellung mit Illustrationen des Romans, in Oberkirch eine ganz neue Ausstellung, die am 20. März eröffnet wird – rechtzeitig vor der Radsaison.
Die letzte Etappe und die Beine sind schwer. Hinter mir liegen viele literarische Stationen, fast 50 Kilometer. In Willstätt warten die Spuren eines weiteren barocken Dichters: Johann Michael Moscherosch. Der Südwesten zeigt sich voller Handlungsorte literarischer Texte und Schauplätzen der Literaturgeschichte.
„Beispiel: Wenn Sie mit der Regionalbahn von Stuttgart nach Heilbronn fahren, passieren Sie kurz vor Lauffen, dem Geburtsort Hölderlins, einen Eisenbahntunnel. Dieser ist zentraler Ort eines Romans von Heimito von Doderer, wo der Tunnel für das Unbewusste und Verdrängte steht. Die Museen sind das Korsett, dazu kommen spannende, literarische Orte.“
Jeder gefahrene Kilometer auf dem literarischen Radweg inspiriert zu neuem Lesestoff. Am Schluss steht also kein Endpunkt, sondern ein fortlaufendes Projekt. Es gibt viel zu entdecken.
Immer weiter radeln also.
„Per Pedal zur Poesie" heißt das Projekt vom Literaturarchiv Marbach.
Schirmherr ist Prof. Dr. Thomas Schmidt: „Die Idee für die Literarischen Radwege kam 2008. Sie liegt eigentlich auf der Hand: Wir haben im Südwesten viele schöne Landschaften, die gut mit dem Rad erschlossen sind, und gleichzeitig die reichste Literaturlandschaft Europas – etwa 100 literarische Dauerausstellungen und zahlreiche weitere Orte.
Das wollten wir verbinden: Landschaft und Literatur, auf eine sanfte, den Raum abtastende Weise. Daraus sind die Radwege entstanden. Mittlerweile haben wir elf Routen, drei weitere sind in Planung.“
Auf Spuren barocker Dichter
Radweg Nummer elf führt mich ins Renchtal. Oberkirch, Gaisbach, Renchen, Willstätt – ruhige Weinbaugebiete in der Rheinebene, viel Fachwerk, grüne Felder, reichlich Obstanbau.
Und: Eine reiche Literaturgeschichte. Hier befand sich schließlich, seit kurz nach dem Dreißigjährigen Krieg, die Wahlheimat von Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen, wo er den barocken Abenteuerroman „Simplicissimus Teutsch“ schrieb.
Die Radwege plant das Literaturarchiv eben nicht zufällig, sondern an den wichtigsten historischen Punkten entlang:
„Mindestens zwei, höchstens vier literarische Museen oder Dauerausstellungen sollen an der Route liegen. Mehr wäre für Radler zu viel. Die Länge liegt zwischen 30 und 50 Kilometern. Zunächst orientieren wir uns an den Ausstellungen, dann suchen wir literarische Orte in der Umgebung.“
Bewegungssinnliche Literaturerfahrungen
Damit zurück zu meiner Radtour. Startpunkt: Oberkirch. Im kleinen Stadtmuseum lässt sich mehr über Grimmelshausen und seinen Einfluss auf den regionalen Weinbau erfahren. Schnell weiter geht es aber nach Gaisbach, wo sich im Gasthaus Silberner Stern, das Grimmelshausen einst selbst betrieb, vespern ließe. Vielleicht die bessere Wahl? Denn die nächste Etappe hat es in sich.
Der Anstieg auf die Schauenburg zeigt Zähne. Literaturgeschichte als körperliche Erfahrung. Ich erinnere mich an Schmidts Worte:
„Die Erfahrung prägt sich sinnlich, sogar kinästhetisch – also bewegungssinnlich – ein. Wenn man etwa von Kirchheim/Teck über Ochsenwang nach Bad Boll fährt, dann fährt man auf Mörikes Spuren, aber muss den Albtrauf hoch – das vergisst niemand, auch E-Biker nicht. Die Geschwindigkeit des Rades ist aber beschaulich, man ist mit allen Sinnen dabei. Aber: Ein Radweg muss vor allem schön sein.“
Neue Radwege in Planung
Schön ist die Aussicht auf die Rheinebene. Das macht den Reiz des poetischen Radwegs aus: Natur, Stadtbild und Literatur verbinden sich hier spielerisch miteinander. So lässt sich die Regionalkultur aktiv erleben. Das Projekt wächst bis heute immer weiter, wird modernisiert, meint Schmidt:
„Unter anderem, weil sich in den letzten 17 Jahren Beschilderungsvorschriften und Radwegführungen stark verändert haben. Wir evaluieren die bestehenden Wege, korrigieren die Führungen, beschildern neu, produzieren GPX-Tracks für Komoot und Outdooractive.“
Da Literaturbegeisterte aber bekanntlich auch gerne Viellesende sind, finden sich die Wegbeschreibungen in aufwendig gestalteten Leporellos.
2026 ist Grimmelshausen-Jahr
„Darin gibt es Texte, die – wie Ethnologen sagen würden – eine „dichte Beschreibung“ bieten. Was nicht einfach ist, weil die literarischen Spuren oft nicht kausal zueinander stehen. Daraus entsteht ein Essay, der die Landschaft als Literatur-Landschaft zeigt – nicht nur als Natur- oder Weinlandschaft.“
In Renchen gilt es einige Sehenswürdigkeiten zu besichtigen: Das Simplicissimus-Haus, der Fabeltierbrunnen, das Grimmelshausen-Denkmal. Ein Ausblick aufs Jahr 2026 gibt Prof. Dr. Thomas Schmidt:
„Es ist Grimmelshausen-Jahr. In Renchen und Oberkirch finden Sie zentrale Orte zu seinem „Simplicius Simplicissimus“. In Renchen gibt es eine Ausstellung mit Illustrationen des Romans, in Oberkirch eine ganz neue Ausstellung, die am 20. März eröffnet wird – rechtzeitig vor der Radsaison.
Handlungsorte literarischer Texte im Südwesten
Die letzte Etappe und die Beine sind schwer. Hinter mir liegen viele literarische Stationen, fast 50 Kilometer. In Willstätt warten die Spuren eines weiteren barocken Dichters: Johann Michael Moscherosch. Der Südwesten zeigt sich voller Handlungsorte literarischer Texte und Schauplätzen der Literaturgeschichte.
„Beispiel: Wenn Sie mit der Regionalbahn von Stuttgart nach Heilbronn fahren, passieren Sie kurz vor Lauffen, dem Geburtsort Hölderlins, einen Eisenbahntunnel. Dieser ist zentraler Ort eines Romans von Heimito von Doderer, wo der Tunnel für das Unbewusste und Verdrängte steht. Die Museen sind das Korsett, dazu kommen spannende, literarische Orte.“
Jeder gefahrene Kilometer auf dem literarischen Radweg inspiriert zu neuem Lesestoff. Am Schluss steht also kein Endpunkt, sondern ein fortlaufendes Projekt. Es gibt viel zu entdecken.
Immer weiter radeln also.
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