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Nimmt Russland Einfluss auf die Bundestagswahl? Spekulationen ohne Belege

Nimmt Russland Einfluss auf die Bundestagswahl? Spekulationen ohne Belege

Update: 2024-12-18
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Aktuell verbreiten Bundesregierung, Nachrichtendienste und Medien die Behauptung, Russland würde mithilfe Vortäuschung falscher Tatsachen und Propaganda Einfluss auf die Bundestagswahl nehmen. Vermutungen werden als Fakten ausgegeben. Doch welche konkreten Belege gibt es dafür, und welche Möglichkeiten hat Russland dazu überhaupt? Dies ist der erste Teil einer dreiteiligen Serie. Im zweiten Teil werden die US-amerikanischen Interessen am Ausgang der Bundestagswahl sowie die Möglichkeiten der Einflussnahme der Vereinigten Staaten auf die deutsche Politik über transatlantische Netzwerke dargestellt. Der dritte Teil beschäftigt sich mit weiteren Einflussmöglichkeiten der USA über Nachrichtenagenturen, Medien, Suchmaschinen und soziale Netzwerke. Von Karsten Montag.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz warnt aktuell vor einer „Gefährdung der Bundestagswahl durch unzulässige ausländische Einflussnahme“. „Illegitime Einflussaktivitäten“ seien „klassische Betätigungsfelder“ ausländischer Nachrichtendienste. Sie zielten darauf ab, im „Verborgenen und unter Vortäuschung falscher Tatsachen“ Einfluss auf Entscheidungs- und Funktionsträger in anderen Staaten auszuüben, aber auch in den „freien Meinungs- und Willensbildungsprozess“ einzuwirken. Vor dem Hintergrund des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine habe Russland „das wohl größte und naheliegendste Interesse, die Wahl im eigenen Sinne zu beeinflussen“. Ein „probates Mittel“, um Menschen vorsätzlich zu täuschen oder zu beeinflussen, seien „Desinformation und Propaganda“. Einhergehend mit seinem Angriffskrieg habe Russland seit 2022 die „Verbreitung (pro-)russischer und anti-westlicher Narrative“ offensiv ausgebaut.

Als einen – auf den ersten Blick – konkreten Beleg liefert der Verfassungsschutz lediglich das Beispiel des Nachrichtenportals Voice of Europe, das in Tschechien betrieben wurde. Die einzigen näheren Informationen dazu findet man in einem Spiegel-Beitrag, der sich hinter einer Bezahlschranke befindet. Doch allein am Titel und Untertitel ist bereits erkennbar, dass es sich dabei nicht um Fakten handelt: „Europäische Politiker sollen Hunderttausende Euro aus Russland bekommen haben. (…) Im Mittelpunkt stehen eine Nachrichtenseite und ein enger Freund Putins. Über das Netzwerk soll Geld geflossen sein (…).“ Selbst wenn man den gesamten Beitrag liest, muss man feststellen, dass es sich bei den Informationen lediglich um Vermutungen handelt.

Eine konkrete Begründung für die Warnung vor russischer Einflussnahme auf die Bundestagswahl liefert die Verfassungsschutzbehörde also nicht. Zudem stellt sich die Frage, wie Russland angesichts des Verbots und der Sperrung von RT-Deutsch sowie anderer russischer Informationsangebote in der Lage gewesen sein soll, die „Verbreitung (pro-)russischer und anti-westlicher Narrative“ offensiv auszubauen. Auf Nachfrage der NachDenkSeiten beim Bundesamt für Verfassungsschutz, welche konkreten Erkenntnisse vorliegen, die die Warnung vor einer russischen Einflussnahme rechtfertigen, antwortete die Pressestelle der Behörde:

Wir verweisen auf die entsprechende Analyse zum Thema ‚Gefährdung der Bundestagswahl 2025‘. Darüber hinaus bitten wir um Verständnis, dass wir uns zu internen Arbeitsergebnissen grundsätzlich nicht öffentlich äußern.“

Die Analyse zum Thema „Gefährdung der Bundestagswahl 2025“ entspricht exakt dem Dokument, aus dem weiter oben zitiert wurde und das keine konkreten Belege enthält.

Trotz der fehlenden handfesten Beweise wird die Warnung des Verfassungsschutzes unkritisch von einer ganzen Reihe einflussreicher Medien verbreitet, darunter unter anderem von der Tagesschau, dem Spiegel und der Süddeutschen Zeitung.

Auch der BND und die Innenministerin warnen vor russischem Einfluss und „hybriden“ Angriffen

Neben dem Verfassungsschutz warnt auch der Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND) Bruno Kahl vor russischer Einflussnahme. Der Wahlprozess selbst sei zwar kaum zu beeinflussen, aber man habe schon bei den bisherigen Wahlen in diesem Jahr „eine Beteiligung Russlands am politischen Meinungsbildungsprozess gesehen“, meint Kahl, ohne konkrete Angaben zu machen. Im Kreml würden Themen in Deutschland wie „Corona oder Klima“ genau analysiert und gesellschaftliche Konflikte darüber geschürt. Am rechten und linken Rand des politischen Spektrums würde dann „naiv nachgeplappert“, was vorgegeben werde. Auch für diese Einschätzung liefert der BND keine Belege. Stattdessen warnt der Chef des deutschen Auslandsgeheimdienstes vor zunehmenden „hybriden“ Angriffen Russlands auf Deutschland und das westliche Verteidigungsbündnis NATO.

Wikipedia stellt fest, „hybride Kriegsführung“ habe sich zu einem wirksamen, scheinbar risikoarmen Machtinstrument „böswilliger Akteure“ entwickelt und stelle deshalb eine Bedrohung für die NATO, die Europäische Union als Ganzes, die einzelnen Mitgliedstaaten und ihr weiteres Umfeld dar. Elemente dieser Art von Kriegsführung seien unter anderem „Desinformations- und Propaganda-Kampagnen (Infowar)“, „reflexive Kontrolle, Beeinflussung der gegnerischen (staatlichen) Entscheidungen durch Manipulation der gegnerischen Wahrnehmung der Welt“ und „Einmischung in Wahlen und politische Prozesse“.

Mit dem Argument, „hybride Bedrohungen“ abzuwehren, hatte der Rat der Europäischen Union im März 2022 die Informationsangebote von Russia Today und Sputnik in der EU per Verordnung verboten.

Auf Nachfrage der NachDenkSeiten beim BND, welche konkreten Erkenntnisse derzeit vorliegen, die die Warnung vor einer russischen Einflussnahme auf die deutsche Politik rechtfertigen, und wie der Nachrichtendienst feststellt, dass russische Beeinflussung am rechten und linken Rand des politischen Spektrums in Deutschland „naiv nachgeplappert“ werde, antwortete die Pressestelle der Behörde wie folgt:

Der Bundesnachrichtendienst nimmt zu Angelegenheiten, die etwaige nachrichtendienstliche Erkenntnisse oder Tätigkeiten betreffen, grundsätzlich nicht öffentlich Stellung. Damit ist keine Aussage getroffen, ob der Sachverhalt zutreffend ist oder nicht. Der Bundesnachrichtendienst berichtet zu entsprechenden Themen insbesondere der Bundesregierung und den zuständigen, geheim tagenden Gremien des Deutschen Bundestages.“

Der Verfassungsschutz und der deutsche Auslandsgeheimdienst warnen also vor einer russischen Einflussnahme auf die Bundestagswahl und die politische Meinungsbildung, wollen beziehungsweise dürfen jedoch der Öffentlichkeit keine Belege dafür liefern. Lediglich die Bundesregierung und das Parlamentarische Kontrollgremium (PKGr) haben Zugriff auf die konkreten Erkenntnisse der Nachrichtendienste des Bundes. Das PKGr ist mit einem Dutzend Bundestagsabgeordneter besetzt, die derzeit ausschließlich der SPD, CDU, FDP und den Grünen angehören.

Innenministerin und Sicherheitspolitiker stellen Vermutungen als Tatsachen hin

Auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), der Vorsitzende des PKGr Konstantin von Notz (Grüne) sowie der stellvertretende Vorsitzende des PKGr Roderich Kiesewetter (CDU) warnen vor einer Beeinflussung der Bundestagswahl Anfang 2025 durch Russland. „Kriminelle und Geheimdienste“ könnten Menschen manipulieren und öffentliche Debatten mit Propaganda beeinflussen, meint Faeser und behauptet: „Wir haben große Lügen- und Einflusskampagnen von Putins Propaganda-Apparat aufgedeckt und – wie im Fall ‚Voice of Europe‘ – vor der Europawahl gestoppt.“

Der Grünen-Politiker von Notz behauptet, Deutschland müsse sich „auf massive und relevante Einflussnahmeversuche in den nächsten Monaten bis zur Wahl“ einstellen. CDU-Sicherheitspolitiker Kiesewetter erklärt, Russland habe „ein Desinformations-Ökosystem“ geschaffen, und fügt mit Anspielung auf Voice of Europe hinzu, die Einflussnahme finde teilweise auch statt „mit illegitimen Mitteln wie zum Beispiel Geldzahlungen an Entscheidungsträger oder Multiplikatoren der Debatte“. Hier werden also von Regierung und PKGr-Mitgliedern – solange keine konkreten Belege geliefert werden – nachweislich Vermutungen als Tatsachen hing

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Redaktion NachDenkSeiten