So spannend können Musikhandschriften sein: Sonderausstellung im Beethoven-Haus Bonn
Update: 2025-09-03
Description
Farbton: dunkler als Currypulver
Großes Querformat, 15 Seiten stark, mit vielen Korrekturen und einigen Tintenklekse drin – das ist die aufregendste Neuerwerbung des Bonner Beethoven-Hauses seit langem. Sammlungsleiterin Julia Ronge stellt den aufwändigen Einband des 4. Streichquartettsatzes aus Opus 130 vor:
Es ist ein sehr hochwertiger, farbiger Seidensamt. Diesen Einband hatten alle Steger-Handschriften und die Farbe des Samts wechselt immer. Es gibt einen, der ist waldgrün, einer, der ist ganz zart lila – taubengrau. Und diese Handschrift ist, wie soll man das beschreiben? Vielleicht siena-braun oder vielleicht wie Curry, ein bisschen dunkler als Currypulver.Quelle: Julia Ronge, Sammlungsleiterin am Beethovenhaus Bonn
Um das Jahr 1900 herum war Heinrich Steger Star-Rechtsanwalt in Wien, Obmann der Gesellschaft der Musikfreunde und Beethovenhandschriftensammler. Er war bereits Besitzer Nummer 4 des Satzes „Alla danza tedesca“ und ließ ihn so edel in Samt und Seite einbinden.
Andere Exemplare aus der Steger-Sammlung wie die „Coriolan-Ouvertüre“ hatte das Beethoven-Haus schon früher erworben. Sie sind auch im Sonderausstellungsraum zu sehen, allerdings zugeklappt. Den Tanz-Satz hatte einst Ludwig van Beethoven dem Uraufführungsgeiger Karl Holz geschenkt. Der schenkte die Handschrift 1849 nach einer brillanten Aufführung dann einem anderen Wiener Geiger: Joseph Hellmesberger, Mitglied der Hofkapelle und Organisator einer begeisternden Quartett-Reihe.
Budget reicht 1904 für nur vier Manuskripte
Wann genau Heinrich Steger das Original erworben hat, ist unbekannt. Julia Ronge kennt jedoch aus eigenen Quellen Stegers ersten Verkaufs-Versuch.
1904 kommt er auf die Idee und bietet seine komplette Sammlung dem Beethoven-Haus an. Wir hätten also theoretisch schon 1904 dieses Manuskript kaufen können. Wir haben uns damals für vier andere Manuskripte entschieden. Mehr Geld hatte man nicht.Quelle: Julia Ronge, Sammlungsleiterin am Beethovenhaus Bonn
Gestohlen bei der Flucht ins Exil
Stattdessen geht der Satz an die jüdische Fabrikantenfamilie Ignatz Petschek in Aussig, heute Ústí nad Labem. Sie kann sich allerdings nur recht kurz an der dem Original erfreuen. Die Petscheks waren Deutsch sprechende Bürger der Tschechoslowakei.
Sie produzierten und vertrieben auch im Deutschen Reich Kohlebriketts, ebenso besaßen sie Bergwerke. Gerade noch rechtzeitig vor der Besetzung des Sudetenlands 1938 durch die Deutschen konnten sie über mehrere Zwischenstationen in die USA fliehen. Ihr Umzugsgut inklusive Beethoven-Handschrift wurde abgefangen.
Für Kuratorin Julia Ronge war es schwer, sich immer wieder mit den perfiden Tricks der Nationalsozialisten im Umgang mit dem Eigentum der Petscheks auseinanderzusetzen – dem größten durchgezogenen Arisierungsfall der NS-Zeit. Man hatte ihnen nicht nur ihre Fabriken weggenommen.
Es gibt einen Brief an Franz Petschek, einen der Söhne, wo ihm zum Beispiel die in den Kisten vorhandene Leibwäsche der Frauen für 2000 Schweizer Franken angeboten wird. Also sie können ihre eigenen Unterhosen zurückkaufen, aber nur gegen Devisen.Quelle: Julia Ronge, Sammlungsleiterin am Beethovenhaus Bonn
Stets Staatsfeind
Nach 1945 suchte die Familie lange vergeblich nach der Handschrift, vermutete sie in Berlin, wusste nicht, dass sie in Brünn im Mährischen Landesmuseum verwahrt war. Später verboten die sozialistischen Machthaber in der CSSR aufgrund der Benes-Dekrete eine Restitution an Ausländer.
Die Petscheks wurden stets in die Negativ-Schubladen der Regimes gesteckt, für die Nationalsozialisten waren es die Juden, bei den kommunistischen Tschechoslowaken waren es die Deutschen oder die Imperialisten, erzählt Ronge.
Ein fairer Handel
Erst eine Gesetzesänderung in Tschechien im Jahr 2000 ermöglichte Rückübertragungen auch an Ausländer. Doch es wurden insgesamt 84 lange Jahre, in denen die Petscheks keinen Zugriff auf ihre Beethoven-Handschrift hatten.
Erst 2022 wurde die Handschrift aus Tschechien an die Familie zurückgegeben. Danach meldete sich eine der Enkelinnen beim US-amerikanischen Musikwissenschaftler Lewis Lockwood in Sachen Verkauf. Der Beethoven-Forscher schlug die Bonner Forschungsstätte vor und man telefonierte. Beethoven-Haus-Direktor Malte Boecker gibt zu Ankaufssummen grundsätzlich zwar keine Auskunft, wohl aber über das Zustandekommen des wichtigsten Erwerbs seit den Diabelli-Variationen:
Wir haben das Verfahren so gehalten, dass wir uns um Expertisen bemüht haben, um zu wissen, was wäre der Marktwert? Und haben mit den Expertisen dann die Gegenseite gefragt, was die die sich erwarten würden. Und das haben wir akzeptiert. Das wurde nicht verhandelt.Quelle: Malte Boecker, Direktor des Beethoven-Hauses
Anonym im Publikum
Auf dem Festakt im Januar zur Übergabe wurde nicht nur dieser Vorläufer eines Walzer aufgeführt. Es wurde auch dem Tschechischen Botschafter für die Rückübertragung an die Familie gedankt. Sie war auch im Kammermusiksaal, blieb aber unerkannt.
Der Familie ist wichtig, dass die Handschrift für Forschung und Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird. Dafür wird in Bonn gesorgt.
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