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Syrien gestern und heute – Betrachtungen einer Korrespondentin

Syrien gestern und heute – Betrachtungen einer Korrespondentin

Update: 2024-12-16
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Kennen Sie „Wimmelbilder“? Kinder und Erwachsene lieben „Wimmelbilder“. Kinder lieben sie, weil sie stundenlang darauf sehen und immer wieder Neues entdecken können. Erwachsene lieben sie, weil sie Kinder auf diese Weise zumindest eine Zeitlang ruhigstellen können. Beliebte Themen für „Wimmelbilder“ sind Häfen, Weihnachts- oder Wochenmärkte, Bauernhöfe; Zirkuszelte oder Jahrmärkte. Es gibt „Wimmelbilder“ aus Städten und aus verschiedenen Jahrhunderten, es gibt sie als Bücher, Kalender, im Internet, als Plakate oder als Teppiche für Kindergärten. Gemeinsam ist allen, dass sie Phantasiebilder sind, die mit der Wirklichkeit nichts (mehr) zu tun haben. Als „Wimmelbild“ können Sie sich vorstellen, was derzeit von Medien und Politikern der westlichen Hemisphäre und ihren Partnern im östlichen Mittelmeerraum und in der arabischen Golfregion über Syrien produziert wird. Von Karin Leukefeld.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Da gibt es Analysen, Perspektiven, Wunsch- und Gefahrenkataloge, Ratschläge und jede Menge Debatten. Es gibt unzählige Interviews, Reiseaktivitäten und Treffen, mit denen aktuell Bilder eines zukünftigen Syrien produziert werden, die sich die Öffentlichkeit stundenlang ansehen und darin immer wieder Neues entdecken kann. Die Drahtzieher dessen, was in Syrien derzeit geschieht, versuchen derweil, mit einem bunten Strauß voller Wundertüten die Syrer zumindest eine Zeitlang ruhigzustellen. Das gilt vor allem für die Syrer, die an ihrem Land festgehalten haben, trotz Mangel und trotz eines Krieges, den keiner von ihnen wollte.

Diese Drahtzieher sind Staaten und deren Führungspersonal, die sich auf Einladung Jordaniens am Wochenende in Akaba trafen. Da waren arabische Staaten vertreten, die 2011/12 den Aufstand in Syrien mit Geld und Waffen politisch und medial befeuerten. Da waren die USA und die EU vertreten, die Syrien mit einseitigen wirtschaftlichen Strafmaßnahmen (Sanktionen) seit 2011 (EU) und seit 2019 (USA „Caesar Gesetz“) so sehr schädigten, dass kein Wiederaufbau möglich war. Die Wirtschaft des Landes wurde durch illegale Besatzung und Plünderung syrischer Rohstoffe und syrischen Territoriums so sehr geschädigt, dass Vertreibung, Armut, Arbeitslosigkeit, Korruption und Schmuggel die gesamte Gesellschaft an den Rand menschlicher Lebensmöglichkeiten zwangen.

Nun rollen eben diese Staaten für die international als Terrororganisation gelistete Hay’at Tahrir al-Sham alias Nusra-Front alias Al Qaida in Syrien den roten Teppich aus und stellen ein Ende der einseitigen wirtschaftlichen Sanktionen in Aussicht. Abu Mohammed al Jolani, auf den die USA ein Kopfgeld von 10 Millionen US-Dollar ausgesetzt hat, wird ermahnt, eine zukünftige Regierung müsse den Prinzipien entsprechen, „auf die wir uns alle geeinigt haben, dass die neue Führung in Syrien diese einhalten muss“, so die neue EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas, die an dem Treffen in Akaba teilnahm. Diese Prinzipien seien „Stabilität, Souveränität und territoriale Integrität Syriens (….) Auch der Respekt von Minderheiten, keine Radikalisierung, der Aufbau von (staatlichen) Institutionen, eine einheitliche Regierung – das bedeutet alle Gruppen Syriens – und die Rechenschaftspflicht für begangene Verbrechen“ müssten berücksichtigt werden. Ob Frau Kallas dabei auch an die Verbrechen von HTS und der Nusra-Front gedacht hat?

Die immer bereiten Medien verbreiten „Siegesbilder“ aus Damaskus. Hunderttausende sollen am ersten Freitag nach dem „Sturz des Regimes“ in und um die Omajjaden-Moschee in der Damaszener Altstadt gefeiert haben. Die engen Straßen und Gassen um das ehrwürdige Gebäude seien am Vorabend mit Menschenmassen gefüllt, wie man sie sonst nur vor dem Krieg an jedem Wochenende dort sehen konnte, berichten Anwohner. Hunderttausende sollen am Freitagabend dem Feuerwerk zugejubelt haben, das über dem Omajjaden-Platz vor dem Opernhaus gezündet wurde, während im Hintergrund das „Four Season“-Hotel wie eine Festung erleuchtet war. Eine Festung ist das Hotel allerdings, denn es wurde mit einer hohen Mauer und Stacheldraht umgeben und ist nur durch eine Sicherheitsschleuse zu betreten. Das „Four Season“ beherbergt seit 2012 die Organisationen der Vereinten Nationen, die in Syrien Hilfe für notleidende Menschen organisieren. Aus Sicherheitsgründen müssen die Vereinten Nationen sich wie in einer Festung verschanzen.

Die Filmaufnahmen der vielen Journalisten, die über die Türkei – mit den „Rebellen“ aus Idlib – nach Damaskus gelangten oder die über den Libanon und die verlassene syrische Grenze ins Land strömten, ähneln sich vermutlich auch deswegen, weil sie schnell produziert werden müssen. Die Redaktionen drängen auf immer mehr und neue Bilder, die internationalen Trendsetter-Sender wie BBC, CNN und Al Jazeera haben Reporter, Kameraleute und Techniker in Stärke von Fußballteams nach Damaskus geschickt, sie scheinen rund um die Uhr zu arbeiten. Sie werden nicht müde, die Fahnen der „Rebellen“ zu zeigen, die überall und massenweise an Geschäfte und an die Bevölkerung verteilt wurden – eine Fahnenfabrik an unbekanntem Ort war offenbar auf die große Nachfrage vorbereitet worden und hatte große Mengen produziert.

Immer wieder werden Bilder des Gefängnisses in Sednaya gezeigt, dessen Tore wie die aller Gefängnisse beim Vormarsch der „Rebellen“ geöffnet wurden. Die Überlebenden – nach unterschiedlichen Angaben in Sednaya bis zu 4.300 – wurden ihrer neuen Freiheit überlassen. Manche Familien, die jahrelang auf die Freilassung ihrer gefangenen Angehörigen gehofft hatten, warteten vergeblich auf deren Rückkehr und fanden sie in Leichenhäusern. Andere irrten durch die leeren Zellen des unheimlichen Gebäudes oder durchwühlten achtlos zerstreute Dokumente und Personalausweise auf der Suche nach Informationen. Immer dabei waren die Kameras internationaler Fernsehsender und sie zeigten Menschen, die am Boden kauerten, Menschen, die müde ins Leere starrten oder voller Entsetzen und Trauer angesichts ihrer toten Angehörigen zusammenbrachen. Wo Hilfe und Zuspruch gebraucht wurde, gab es Kameras und Mikrophone. Syrien, HTS in Damaskus, das Grauen von Sednaya verkauft sich gut. Alles ist Sensation.

Als Schulen und Universitäten am Sonntagmorgen – in der arabischen Welt ist das der Wochenanfang – wieder öffnen, sehen die Schüler verlegen zu, wie die neue Fahne gehisst wird, vor der sie nun Aufstellung nehmen müssen. Eine Lehrerin erscheint vor ihren Grundschülern mit der neuen Fahne als Schultertuch.

Alles Übel wird auf Bashar al-Assad abgeladen, der unter unklaren Umständen das Land ohne ein Wort verlassen hat. Er habe mit seiner Familie in Moskau „humanitäres Asyl“ erhalten, teilt das russische Außenministerium mit. Um sein Verschwinden ranken sich zahlreiche Medienberichte, die, basierend auf namentlich nicht genannten Quellen, wissen wollen, wie sein Rücktritt, sein Abgang sich zugetragen haben soll. Die Schwäche der Armee wird analysiert oder wahlweise auch deren Spaltung. Die Baath-Partei, die mit ihren Institutionen anderes politisches Leben schließlich erstickte, soll sich aufgelöst haben, heißt es. Alle müssten für ihre Verbrechen zur Rechenschaft gezogen werden, heißt es. Die jahrzehntelange Unterdrückung sei vorüber, Syrien werde „neu geboren“.

Im „Wimmelbild“ Syrien, das der westlichen Öffentlichkeit präsentiert wird, gibt es keinen Raum für die Geschichte der Region und darin Syriens, das schon unmittelbar nach seiner Unabhängigkeit (1946) von US-Intrigen und Interventionen erschüttert wurde. Es gibt keinen Raum für die hunderttausenden Flüchtlinge, die in dem Land ein neues Zuhause fanden: Tscherkessen und Algerier im 19. Jahrhundert, Armenier Anfang des 20. Jahrhunderts. 1948 wurden zehntausende Palästinenser aufgenommen, die von zionistischen Milizen vertrieben worden waren. Weitere Palästinenser folgten nach dem Sechs-Tage-Krieg 1967 und erneut nach dem Krieg mit Israel 1973. Nach dem US-Überfall auf Irak (2003) und dem folgenden blutigen inneren Krieg, der 2005 seinen Höhepunkt fand, wurden 1,5 Millionen Iraker in Syrien aufgenommen. Millionen Libanesen kamen nach Syrien während des Krieges 2006 und zuletzt während des israelischen Krieges, der von September bis November 2024 dauerte und mehr als 3.900 Zivilisten das Leben kostete und mehr als 16.500 verletzte. Rund 400.000 Syrer, die vor dem Krieg in Syrien in den Libanon flohen, waren in der Zeit nach Syrien zurückgeflohen.

Mit dem Jahr 2011 waren die Syrer selbst zu Flüchtlingen geworden

Damals boomte die Wirtschaft des Landes. Die Weltbank stufte Syrien unter den arabischen Staaten als fünftstärkste Ökonomie ein. Das Land hatte sich in den 10 Jahren nach 2000 unter dem jungen Präsidenten Bashar al Assad nach Westen, nach Europa geöffnet und bot sich nach dem 11. September 2001 als Partner im „Kampf gegen den Terror“ an, den die USA erklärten. Syrien ließ bereitwillig ausländische Studierende, Firmen, Organisationen, Medien einreisen. Mit der EU wurde über ein Assoziierungsabkommen verhandelt. Auf den Ölfeldern im Osten des Landes entlang der Grenze zum Irak waren sämtliche großen internationalen Öl-Unternehmen zu finden. Entlang der Straße von Damaskus nach Homs bauten internationale Autofirmen große Ausstellungs- und Verkaufshäuser. Die Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ, heute GIZ) sanierte aufwändig die Altstadt von Aleppo. Die syrische Regierung lud syrische Wissenschaftler und Unternehmer ein, die im Ausland lebten, und rief sie auf, in Syrien zu investieren. Besonders Ärzte bauten private Kliniken und Praxen auf und ergänzten damit die gesundheitliche Versorgung im Land.

Die Autorin hatte 2005 den Irak verlassen und war den irakischen Flüchtlingen nach Syrien gefolgt. Ein Antrag auf Akkreditierung wurde 5 Jahre lang „bearbeitet“, bis er schließlich 2

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