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Allan N. Derain – Das Meer der Aswang

Allan N. Derain – Das Meer der Aswang

Update: 2025-09-05
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Die Philippinen zu Beginn des 18. Jahrhunderts. Wir zoomen uns heran. Hinein in die Mitte des Archipels. Dort liegen die Visayas. Und dann noch näher heran: an die Insel Panay. Und dort hinein in ein kleines Dorf in der Region Antique, also an der West-Küste. Dort war ich dieses Jahr. Aber nicht im Dorf Bariwbariw, denn das ist fiktiv. Hier spielt „Das Meer der Aswang“, der neue Roman von Allan N. Derain.

Die Nacht ist still in Bariwbariw. So heißt der Ort. Er ist nach dem Schilfgras benannt, aus dem die Schlafmatten gewoben sind, und klingt wie Balabala und Bürenbüren in einem Wort. Jetzt liegt er so ruhig wie das Meer. Alles schläft, außer den Männern auf dem Wachturm. Auch der Vater von Luklak ist bei ihnen. Sie halten nach verdächtigen Bewegungen Ausschau.

Quelle: Allan N. Derain – Das Meer der Aswang



Die Angst vor den Moro-Piraten


Alle haben Angst vor den Moro-Piraten, die die Küstenorte überfallen und Menschen entführen. Der Sklavenhandel blüht. Hier, soweit weg von Manila. Allan Derain erläutert, warum er seinen Roman bewusst nicht an den üblichen Schauplätzen der philippinischen Geschichtsschreibung ansiedelt:
„Ich wollte mit diesem Roman die Geschichte der Philippinen neu erzählen. Aber mal ohne Luzon. In unserer offiziellen Geschichtsschreibung geht es immer um Luzon, vor allem um Manila. Dort wird Geschichte gemacht! In meinem Roman aber möchte ich eine alternative Geschichte der Philippinen anbieten. Die nicht in Manila, sondern in einer ganz anderen Gegend spielt. Deshalb habe ich meinen Roman in den Visayas angesiedelt.“

Luklak pubertiert zum Krokodil


Auch wenn Allan N. Derain selbst im Großraum Manila lebt. Er unterrichtet an der University of the Philippines in Quezon City. Hier traf ich ihn auch zum Interview. Für seinen Roman hat er mehrere Exkursionen auf die Insel unternommen.
Sein Erzähler ist so immersionsbereit und zugleich so modern wie Derain selbst. Das gibt diesem Roman einen unwiderstehlichen Witz. Etwa wenn Luklak auftritt, die 15-jährige Hauptfigur. Sie ist frech. Aber sie kann nicht mehr gut gehen, muss ständig liegen. Ihre Haut ist in Aufruhr. Ein Pubertier. Bloß dass diese Verwandlung ins Animalische weiter geht als üblich. Luklak mutiert zum Krokodil.

Wunden übersähen sie von Kopf bis Fuß. Einiges sieht nur aus wie ein Hautausschlag. Aber da sind auch Klümpchen so groß wie Limabohnen, bereit aufzuspringen, zu atmen, die Luft ein und auszupusten, sich zu erfrischen, den klebrigen Eiter auszuscheiden, Ameisen anzulocken.

Quelle: Allan N. Derain – Das Meer der Aswang



Es gab mal Zeiten, da waren die Übergänge zwischen Göttern und Menschen, Tieren und Pflanzen fließend. Auch bei uns. Ovid beschrieb in seinen „Metamorphosen“, wie Nymphen zu Bäumen und Männer zu Blumen werden. Das war ziemlich genau zu Christi Geburt. Kein Zufall. Denn die christliche Schöpfungsgeschichte räumte auf mit Fluidität.
Auch die spanischen Mönche, die neuen Herren auf den Philippinen, bringen ihre freudlosen Regeln mit. Luklak aber entwischt. Sie wird zum Krokodil. Also: eine Aswang. Was das ist? Ich habe Allan Derain gefragt:
„Ein Aswang repräsentiert stets das Böse. Er ist wie der Teufel, aber der Teufel unter uns. Das unterscheidet Aswang-Geschichten von Geschichten über Feen und Geister. Der eigene Nachbar könnte ein Aswang sein. Aswangs können also aussehen wie echte Menschen, wie jeder normale Filipino. Sie verhalten sich aber anders. Aus Sicht der Kirche ist das der Teufel, aber halt der Teufel, der unter uns ist. Ein Teil der Gemeinschaft, vielleicht sogar der eigenen Familie.“

Die Epen der Visayas


Philippinos lieben Horror. Selbst nach vier Jahrhunderten Katholizismus. Davon zeugen auch die vielen Monstercomics, die dieses Jahr auf Deutsch erscheinen. Es ist schon auffällig, wie viel Gewalt in philippinischen Büchern steckt. Die Moral von der Geschicht‘ muss man oft mit der Lupe suchen. Auch im „Meer der Aswang“.
Luklaks Mutter etwa wurde zum Tode verurteilt. Kurz vorher gebar sie noch einen Aal, den sich Luklak später grillt und aufisst. Groteske Geschichten, die den oral tradierten Epen der Panay Bukidnon entlehnt sind, einer Volksgruppe auf den Visayas. Heute beherrscht nur noch eine einzige Familie diese Gesänge. In Gänze sogar nur noch der Großvater.
Romulo Caballero ist 78 Jahre. Er ist aus seinem Dorf nach Iloilo gekommen. In den Bergen nennt man ihn Amang Baoy. Er kennt die langen Geschichten von Göttern und Menschen, von ihren Abenteuern und Reisen, von Liebe und Verlust. Einen solchen 18-seitigen Gesang findet man auch bei Derain. Hier singt Amang Baoy ein Willkommenslied und lädt zum Reiswein ein. Der heißt Pangasi.

Die Suche nach der eigenen Kraft


Auch in Allan Derains Roman gibt es ein Pangasi-Besäufnis, das als Zukunftsschau beginnt und in eine wilde Phantasieschlacht gegen die feindlichen Piraten mündet. Ein sprachakrobatisches Update der oral tradierten Epen. Freudig übersetzt von Annette Hug.
Könnte gut sein, dass Derain diese imaginierte Schlacht in späteren Romanen noch einmal aufgreift. Denn „Das Meer der Aswang“ ist erst der Auftakt einer Trilogie, an der er aktuell arbeitet. Thema: eine durch Mönche und Piraten in Bedrängnis geratene Ureinwohnergemeinschaft auf der Suche nach ihrer ureigenen Kraft. Dafür könnte Luklak stehen. Als Krokodil hat sie eine Mission, auch wenn sie davon aktuell noch nichts wissen will.

„Möchtest du dein Schicksal nicht erfahren? Welche Aufgabe dir in dieser Welt bestimmt ist?“, fragt die Taube Alimokon die störrische Aswang.
„Und was, wenn ich keine Aufgabe in dieser Welt übernehmen will?“
„Dann wird sich später niemand an dich erinnern.“
„Ich möchte gern vergehen, ohne Spuren zu hinterlassen.“

Quelle: Allan N. Derain – Das Meer der Aswang



Eher unrealistisch. Luklak ist bestimmt nicht durch Zufall ein Salzwasserkrokodil geworden und kann also vor der bedrohten Küste kreuzen. Davon werden die folgenden Bücher berichten. Bis dahin können wir Luklaks Metamorphose erleben. Und wie sie ihren Verlobten suspendiert. Und wie sie den Affen mit der roten Hose jagt. Und vieles Andere mehr.
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