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Julia Engelmann – Himmel ohne Ende

Julia Engelmann – Himmel ohne Ende

Update: 2025-09-07
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Verpasse nicht dein Leben, sondern lebe es. An dieser Botschaft aus Julia Engelmanns berühmten Poetry-Slam-Text „Eines Tages, Baby“ von 2013 hat sich nichts geändert. Auch in ihrem Debütroman „Himmel ohne Ende“ stellt die 1993 geborene Autorin die Frage nach dem Sinn des Lebens in den Mittelpunkt.
Sinnsuchende ist die 15-Jährige Charlie, deren von Ängsten und Einsamkeit geprägtes Teenie-Leben wir über ein Jahr lang begleiten. Quell vieler Unsicherheiten ist Charlies Klasse – ein Mikrokosmos, dessen unausgesprochenen sozialen Codes Engelmann mit aufmerksamem Blick begegnet.
Viele Leserinnen und Leser dürften in diesen Schilderungen endlos-zäher Sommerferien – und im anschließenden Klassen-Kampf um den besten Sitznachbarn – Momente ihrer eigenen Schulzeit wiedererkennen. 
Charlie macht im Laufe dieses Schuljahres eine wesentliche Entwicklung durch: Sie wird von einem fast-Kind zu einer fast-Erwachsenen, von einem introvertierten Mädchen, das mit seinem Meerschweinchen Liebesschnulzen schaut, zu einer jungen Frau, die allein nach Paris reist, ihre Haare färbt und von ihren Mitschülern nicht länger ignoriert oder geärgert, sondern für ihre – vermeintliche – Lässigkeit bewundert wird.  

 Vorauseilende Melancholie 


Bei aller Veränderung bleibt Charlies Hauptbeschäftigung aber das Fragen. Verlässlich bilden Frage, Fragende und Adressatin dabei eine Einheit, denn Charlies Gedanken drehen sich in erster Linie um sich selbst.  

Ich frage mich schon manchmal, wer ich bin und das alles. 

Quelle: Julia Engelmann – Himmel ohne Ende



Wie ein Mantra kehrt diese, teils wortgleich formulierte Frage alle paar Kapitel wieder. Sie ist Ausdruck von Charlies Grundstimmung – einer Art vorauseilender Melancholie, die sich auch darin zeigt, dass Charlie ihr Leben stets rückwärts denkt: vom imaginierten Ende her und, je nach Tagesform, als Scheitern oder als Gelingen. 

Ich musste weinen, aber nicht, weil ich traurig war, sondern weil alles so schön war und so flüchtig, und ich fand es unfair, dass die Momente, in denen mir mein Leben am kostbarsten vorkam, auch immer die Momente waren, in denen mir bewusst wurde, wie fragil das alles war und dass es höchstens noch einen Wimpernschlag lang hielt.

Quelle: Julia Engelmann – Himmel ohne Ende



Redundante Sinnfrage 


Die Angst, etwas oder gleich alles zu verpassen – das, was man heute FOMO, bzw. „Fear of Missing Out“, nennt – ist die größte Sorge dieser beeindruckend selbstbezogenen Protagonistin. Als Beschreibung jugendlichen Selbstverständnisses mag Engelmanns Charakterzeichnung interessant und auch alarmierend sein.
Allerdings pendelt ihr Roman über 336 sehr langen Seiten so erwartbar zwischen Euphorie und Resignation hin und her, dass man bereits nach zehn der 39 Kapitel rufen will: „Ich habe verstanden!“.  

Es war eine seltsame Erkenntnis, dass man auch in glücklichen Momenten traurig sein konnte, dass auch die schönsten Abende endeten. Und ich dachte mit einem leisen Abschiedsschmerz an jeden Tag, der verloren war, weil ich ihn schon gelebt, oder noch schlimmer, hatte verstreichen lassen.

Quelle: Julia Engelmann – Himmel ohne Ende



Verlässlich ist die Handlung von „Himmel ohne Ende“ auf jugendliches Drama abonniert – geht es Charlie einmal ein paar Seiten lang gut, knutscht prompt ihre – ehemals – beste Freundin mit ihrem heimlichen Schwarm.
Ähnlich durchschaubar wird mit der Zeit auch Engelmanns Timing für Kalendersprüche, für deren hochfrequente Produktion neben Charlie und ihrem besten Freund Kornelius vor allem ihre Oma zuständig ist:  

Rom wurde auch nicht an einem Tag erbaut. Und alles, was wir mit Liebe machen, machen wir richtig.

Quelle: Julia Engelmann – Himmel ohne Ende



Auf Effekt angelegt 


Im Poetry Slam, Julia Engelmanns ureigener Domäne, ist die Performance mindestens so wichtig wie der Text. Raue Stimmen, tiefe Blicke und kunstvoll gesetzte Pausen sind probate Mittel, um Zuhörer einzulullen oder sie staunend innehalten zu lassen.
In „Himmel ohne Ende“ bemüht sich Engelmann sichtlich, etwas von dieser Wirkung in ihren Text zu übertragen. Dramatische Ein-Wort-Absätze und Feelgood-Aphorismen wie „Man muss seine Träume immer ernster nehmen als seine Zweifel“ bilden das stilistische Repertoire dieses Textes – und verdeutlichen unfreiwillig, wie schmal der Grat sein kann zwischen tiefem Sinn und Teebeutelspruch.
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