DER WESTEN (3/3) - Was kann aus ihm werden?
Description
Was "ungefähr" der Westen sein soll, ist wenig umstritten. Wer heute in "westlichen Gesellschaften" lebt, hat meist den diffusen Eindruck, irgendwie einer der vielen gängigen Normen zu entsprechen. Genaueres regelt jeder für sich selbst. Doch schon dieser individualistische Ansatz ist typisch für den Westen, beschreibt Jean-Marie Magro in seiner dreiteiligen Überlegung "Der Westen". Und "normal" finden das andere Gesellschaften, die nicht zum Westen gehören, nicht. Vor allem die politische Kultur des Westens reizt in anderen Teilen der Welt zu entschiedenem Widerspruch.
Credits
Autor: Jean-Marie Magro
Regie: Christiane Klenz
Es sprachen: Jean-Marie Magro, Thomas Loible, Jerzy May, Christopher Mann, Florian Schwarz, Benjamin Stedler, Peter Veit und Hemma Michel
Technik: Wolfgang Lösch
Redaktion: Thomas Morawetz und Nicole Ruchlak
Im Interview: Bertrand Badie, Stephan Lessenich, Thomas Gomart, Abubakar Umar Kari, Heinrich August Winkler, Anne Applebaum, Joseph Henrich, Sadiq Abba
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Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.
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Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
MUSIK
SPRECHER
In dieser Serie über den Westen stellen wir große Fragen. Im ersten Teil haben wir erläutert, wer wir eigentlich sind, im zweiten Teil wie andere auf den Westen schauen.
MUSIK
Jetzt kommt der dritte und letzte Teil: Der Westen – Und die Frage: Was kann aus ihm werden?… Ich bin Jean Marie Magro. Wo ist also der Platz des Westens in einer Welt, die sich stetig verändert und in der die Ordnung der Nachkriegszeit ins Wanken gerät? In den ersten beiden Folgen haben wir viel über Werte, Psychologie und Ökonomien westlicher Staaten gesprochen, aber kaum über einen Aspekt, der elementar ist für die Stärke des Westens: seine Verteidigungsfähigkeiten. Es gibt verschiedene Gründe, warum nach dem Zweiten Weltkrieg Europäer und Nordamerikaner in Frieden leben und Wohlstand schaffen konnten. Einmal, weil sie Allianzen schlossen, sich nicht mehr bekriegten und zusammenarbeiteten. Aber auch, weil Feinde sich nicht trauten, sie anzugreifen. Die USA sind mit Abstand die größte Militärmacht der Welt, die Nato die stärkste Militärallianz. Fast alle westlichen Staaten sind Mitglieder des Bündnisses. Wobei auch die Türkei der Nato angehört, die nicht als westlicher Staat gewertet werden kann. Die Stärke der Nato, ihre Abschreckungsfähigkeit, gründet auf dem Artikel 5 ihres Vertrags: Wird ein Mitglied angegriffen, stehen ihm alle zur Seite. Ein Angriff auf das Baltikum bedeutet einen Angriff auf Washington. So die Idee. Aber was passiert, wenn der Präsident des stärksten Mitglieds das Bündnis infrage stellt, es „obsolet“ nennt?
1 Donald Trump, 45. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika
Einer der Präsidenten eines großen Landes fragte: „Sir, wenn wir nicht zahlen und von Russland angegriffen werden, werden Sie uns verteidigen?“ Ich sagte: „Sie haben nicht gezahlt, Sie sind Straftäter? Nein, ich werde Sie nicht beschützen. Ich würde Russland sogar dazu ermutigen, das zu tun, was zur Hölle es auch machen möchte. Zahlen Sie Ihre Rechnungen.“ Und das Geld sprudelte nur so herein.“
MUSIK
SPRECHER
Donald Trump erzählt hier von einem angeblichen Nato-Gipfel. Ob die Begegnung tatsächlich so stattgefunden hat, spielt hier gar keine Rolle. Trump stellte ab Frühjahr 2017 an die Nato vor große Herausforderungen, drohte sich aus dem Bündnis zurückzuziehen, wenn Länder wie Deutschland nicht - wie eigentlich zugesagt – zwei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung ausgeben. Ende 2019, als es auch noch Streit zwischen Frankreich und der Türkei gab, diagnostizierte der französische Präsident Macron den „Hirntod“ der Allianz. Dabei ist die Nato für viele europäische Länder die wichtigste Sicherheitsgarantie, der Schild vor einem möglichen russischen Einmarsch, sagt Anne Applebaum, Kolumnistin beim amerikanischen Magazin „The Atlantic“:
2 Anne Applebaum, Kolumnistin „The Atlantic“ und Historikerin
Menschen wie Trump könnten dieser Praxis ein Ende setzen und zwar wesentlich schneller, als viele denken. Natürlich gibt es einen Vertrag und Verpflichtungen, aber allein, wenn man sagt: ‚Ich, der Präsident, werde Polen nicht verteidigen, wenn es angegriffen wird‘, eröffnet er den Russen die Möglichkeit, es zu tun. Das ist meiner Meinung die größte Gefahr für den Westen.
SPRECHER
Donald Trump wurde nun erneut zum Präsidenten gewählt. Und er wird mit großer Wahrscheinlichkeit auch wieder mächtig Staub aufwirbeln. Die Republikaner wollen nicht mehr, wie unter George W. Bush, den Weltpolizisten spielen, sondern sich auf die USA zurückbesinnen. Isolationismus ist das Schlagwort. Aber auch die Demokraten fordern die Europäer dazu auf, eigenständiger, souveräner zu werden, dass sie sich mehr um ihre eigene Sicherheit kümmern sollen. Der Pazifik verlangt mehr Aufmerksamkeit, vor allem der Systemrivale China. Die Welt von morgen wird anders aussehen als die von heute, ist der französische Politikwissenschaftler Bertrand Badie überzeugt. Und ohnehin, meint Badie, zwinge die Globalisierung die westlichen Länder, sich von den Logiken der Nachkriegsordnung zu verabschieden und den Ländern des Globalen Südens - China, Indien, Südafrika, Brasilien und vielen mehr - auf Augenhöhe zu begegnen:
3 Bertrand Badie, emeritierter Professor für int. Beziehungen Sciences Po Paris
Wie all diese aufstrebenden Länder müssen wir im Westen lernen, uns von dem Begriff Allianz zu verabschieden, der altmodisch und auch gefährlich ist, weil er andere ausschließt: Die NATO ist das wichtigste Militärbündnis, das es in der Welt gibt. Das Ergebnis ist, dass sie von allen, die außerhalb stehen, als etwas bezeichnet wird, das sich nur um sich selbst kümmert und eine ständige Bedrohung darstellt. Russland nutzt das böswillig aus. Aber die Länder des Südens verstehen die Sprache Putins, weil sie sehen, dass die alten europäischen Mächte weiterhin dieses aggressive Eigenleben pflegen, das sich in einem Militärbündnis ausdrückt. Daher muss das Wort Bündnis durch Partnerschaft ersetzt werden.
SPRECHER
Die Kommunistische Partei in China, sagt Bertrand Badie, schließe niemals Allianzen, weigere sich sogar den Begriff in den Mund zu nehmen. In anderen Teilen der Welt besiegeln Länder zwar Handelszonen, verzichten aber meist auf Allianzen, die andere ausschließen. Getreu einem alten Zitat, das Charles de Gaulle während des Zweiten Weltkriegs zugeschrieben wird: „Staaten haben keine Freunde, nur Interessen.“ Derselbe de Gaulle unterzeichnete zwei Jahrzehnte später den deutsch-französischen Freundschaftsvertrag. Doch welche Vorteile sollen losere Partnerschaften im Verhältnis zu Allianzen bieten? Bertrand Badie:
4 Bertrand Badie, emeritierter Professor für int. Beziehungen Sciences Po Paris
Partnerschaften mit jedermann zu entwickeln, bedeutet nicht, sie zu heiraten. Es ist wie mit der freien Liebe im privaten Bereich. Je nach Umständen wechseln Sie den Partner, was die Grundlage für ein neues Gleichgewicht in der Welt schaffen könnte. In einer globalisierten Welt akzeptiert jeder, mit jedem zu arbeiten. Gerade befinden wir uns noch in einer Welt der Vertikalität.
MUSIK
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In der internation