STEINZEIT UND DANACH - „Ackern“ und Gewalt in der Jungsteinzeit
Description
In der Jungsteinzeit, dem Neolithikum, haben die Menschen das Überlebensprinzip "Arbeit" erfunden. Bislang lebten Jäger und Sammler von der Hand in den Mund, doch die ersten Bauern und Viehzüchter mussten das Ackerland pflügen, Unmengen Unkraut jäten und Tiere hüten. Sie wurden Bauern, sesshaft, innovativ - und offenbar auch gewalttätiger, als sie es bis dahin waren. Von Matthias Hennies (BR 2019)
Credits
Autor: Matthias Hennies
Regie: Martin Trauner
Sprecher: Thomas Birnstiel
Technik: Christian Schimmöller
Redaktion: Thomas Morawetz
Im Interview: Dr. Martin Hinz, Dr. Helmut Schlichtherle, Manuela Fischer, Margarethe Schweikle, Prof. Thomas Saile, Dr. Heiner Schwarzberg
Linktipps:
ZDF (2019): Tatort Steinzeit
Immer wieder stoßen Forscher auf die Spuren von Gewalt, die in diesem Ausmaß aus früheren Epochen unbekannt sind. Wer waren die Opfer und wer die Täter? JETZT ANSEHEN
SWR (2018): Archäologie erleben – Akte Jungsteinzeit
Wieso wurden vor 7.500 Jahren die Menschen im Südwesten sesshaft? Dank neuer wissenschaftlicher Methoden können Archäologen endlich Rätsel aus unserer Geschichte lösen. JETZT ANSEHEN
Und hier noch ein paar besondere Tipps für Geschichts-Interessierte:
Im Podcast „TATORT GESCHICHTE“ sprechen die Historiker Niklas Fischer und Hannes Liebrandt über bekannte und weniger bekannte Verbrechen aus der Geschichte. True Crime – und was hat das eigentlich mit uns heute zu tun?
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Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
ATMO (Gespräch & Knistern)
Planen drüber! Ist das Timing, Baby? Eine Minute, dann geht’s los hier! Dann geht das richtig los. Blende, unterlegen.
Sprecher
Dunkle Wolken ziehen auf, der Wind schüttelt die Kronen der alten Buchen und die Archäologen legen die Schaufeln beiseite. Wenige Kilometer von der Ostseeküste entfernt, in einem Wald bei Wangels in Holstein, untersuchen sie ein Großsteingrab aus der Jungsteinzeit. Rund um die riesigen Findlinge, die den Bestattungsplatz der frühen Bauern markieren, tragen sie Zentimeter für Zentimeter die Erde ab. Doch nun droht der nächste Regenguss und sie müssen die Ausgrabung mit einer dicken Plane zudecken.
ATMO (Gespräche & Knistern)
Muss da noch höher, das regnet sonst rein!
MUSIK
Sprecher
Nach dem Schauer tupfen die Forscher, großenteils Studenten von der Universität Kiel, mit Schwämmen das Regenwasser aus der Grabungsfläche. In einem großen Forschungsprojekt zum Neolithikum, der Epoche der ersten Bauern, suchen sie nach einer Erklärung für den Boom der Megalithbauten: In Norddeutschland haben sich ab 4000 vor Christus die Ackerbauern und Viehzüchter durchgesetzt. Nur wenige Menschen zogen noch als Jäger und Sammler umher, die meisten hatten sich an einem festen Ort niedergelassen, ernteten Getreide und Hülsenfrüchte, züchteten Rinder, Pferde und Schweine. Um 3600 vor Christus begannen die Bauern dann, für ihre Toten mächtige Grabhügel aus schweren Steinbrocken aufzutürmen. Aber warum? Das muss die Archäologie noch klären. Am Grab bei Wangels allerdings ist es im Augenblick zu nass zum Ausgraben.
ATMO (Gespräche & Plätschern)
Hier kannst du noch näher an die Steine ran, oh ja.
Sprecher
Ihre geräumigen Langhäuser bauten die frühen Bauern aus Holz und Lehm, berichtet Martin Hinz, der Grabungsleiter, doch die Gräber errichteten sie aus Stein. Darin zeigt sich, welche Bedeutung sie ihren Vorfahren zumaßen: Die steinernen Wohnstätten der Toten waren dauerhaft, die hölzernen Bauten für die Lebenden aber vergänglich. Die Leute wussten genau, wie man mit Stein baut: Die Lücken zwischen den mächtigen, unförmigen Findlingen haben sie sorgsam mit Trockenmauerwerk gefüllt, so dass geschlossene Wände entstanden. Der Eingang blieb offen, denn die Bauten wurden in der Regel mehrere Generationen lang genutzt. Im Volksmund Norddeutschlands heißen sie wegen ihrer Größe "Hünengräber", doch die Forschung hat gezeigt:
2. O-Ton Hinz XIV 099-033, 31'23
Dass hier kein ausgewählter Personenkreis bestattet worden ist. Wir haben Kinder, Frauen, Männer, daher ist anzunehmen, dass es wirklich ein Bestattungsort war für jedermann, keine expliziten Häuptlingsgräber, wie man das früher immer noch gedacht hat.
Sprecher
Um aus tonnenschweren Findlingen einen Grabbau zu errichten, mussten alle Bewohner eines Dorfes anpacken – und später setzten alle ihre Toten darin bei. Niemand stach aus der Gemeinschaft heraus: Weder im Tod durch ein Einzelgrab oder kostbare Beigaben, noch im Leben durch ein riesiges Haus oder prunkvollen Besitz. Die frühen Bauern lebten einige Jahrhunderte lang in einer weitgehend egalitären Gesellschaft. Mit den gemeinschaftlich errichteten Grabbauten dokumentierten sie ihre Zusammengehörigkeit. Zugleich markierten sie damit ihren Grund und Boden, erklärt Dr. Hinz:
3. O-Ton Hinz XIV 099-033, 35'52
Das ist sicher nicht losgelöst davon, dass Land jetzt eine ganz andere Qualität bekommt, es wird eine Ressource, man investiert in das Land, man muss den Acker roden, man muss Arbeit hinein investieren und da kommt sicher auch ein anderes Bewusstsein auf für Landschaft.
Sprecher
Die mobilen Jäger- und Sammler-Gruppen waren immer dorthin gezogen, wo die Natur ihnen gerade die besten Ressourcen bot. Die Bauern aber siedelten sich an einem Ort an und entwickelten eine engere Beziehung zum Land, ihrer Lebengrundlage: Sie nahmen es dauerhaft in Besitz, deshalb errichteten sie ihre steinernen Gemeinschaftsgräber darauf. Die Bauten demonstrieren das neue Bewusstsein für Dauer und Besitz, das sich in der Jungsteinzeit entwickelte. In Süddeutschland dagegen, da, wo die Gletscher der Eiszeit keine Findlinge abgelagert haben, entwickelten die Menschen des Neolithikums andere Bräuche, um ihre Ahnen zu ehren und sich ihrer Zusammengehörigkeit zu vergewissern. Dort ließen sich die ersten Bauern um 5500 vor Christus nieder, etwa ab 3800 entstanden Pfahlbauten an den Seeufern des Voralpenlandes. Die Pfahlbauten bieten den Archäologen die besten Forschungsmöglichkeiten, weil Holz und Lehm, Textilien und Pflanzenreste im feuchten Boden, abgeschlossen vom Sauerstoff, Jahrtausende überdauern können.
ATMO (Schritte)
Sprecher
Zentrum der Pfahlbau-Forschung ist das Amt für Denkmalpflege in Hemmenhofen am Bodensee, Dr. Helmut Schlichtherle hat es lange geleitet. Er kann ein einzigartiges Beispiel für den jungsteinzeitlichen Ahnenkult zeigen, das kürzlich aufwändig rekonstruiert wurde. In Ludwigshafen am Bodensee, ausgerechnet im Strandbad, waren Bruchstücke von der lehmverputzten Wand eines neolithischen Hauses zutage gekommen – einer Wand, die großflächig mit Malereien bedeckt war.
5. O-Ton Schlichtherle OT 12, 9'02
Die Badegäste standen mehrere Sommer schon in diesen Malereifragmenten, die durch die Wellen freigelegt worden sind und wir waren dann mit unseren Tauchern dort und haben vor allem das geborgen, was im Seegrund noch zugedeckt war-
Sprecher
Ergebnis war ein Puzzle von weit über 1.000 Teilen, das dann in die Labors der Denkmalpflege wanderte. Dort hat Schlichtherle die Lehmbruchstücke mit seinen Mitarbeiterinnen Margarethe Schweikle und Manuela Fischer in mühsamer Kleinarbeit nach und nach zusammengesetzt.
6. O-Ton Schweikle OT 12, 11'16
Das lag dann hier jahrelang rum, oder? Gelächter. Schon ein paar Jahre. Und ich hab quasi dann die Einzelscherben rausgeholt und dann geklebt, das kann man jetzt auch in die Hand nehmen, hier dran sieht man die Schultern und das Händchen, also das ist ein ganz wichtiges Stück-
O-Ton Fischer OT 12
Hier hinter Ihnen in diesem Regal sind, ich weiß nicht, wie viele Kisten, über hundert, da liegen immer noch sehr viele Stücke drin. Die wo wir zuordnen konnten, das sind diese bemalten Hüttenlehmstücke, haben wir den Frauen zugeordnet, aber ansonsten gibt es in diesem Chaos noch sehr viele Stücke, die teils keine Bemalung haben, einfach nur aus der Wand rausgebrochen sind, ohne Hinweis, die können wir gar nicht zuordnen, das liegt alles noch in diesen Kisten.
Sprecher
Das mehrere Meter lange Fresko zeigt sieben fast lebensgroße, stilisierte Frauengestalten, mit weißer Farbe auf die braune Wand gemalt. Ihre Brüste stehen plastisch, aus Lehm geformt, aus der Wand hervor, ihre Arme dagegen sind nur angedeutet, die Beine gar nicht dar