WACHSTUM UND PLEITE - Die Geldfabrik Wall Street
Description
Die Wall Street ist eine kleine Straße in Lower Manhattan, New York - und gleichzeitig der Inbegriff von Geld, Macht und Kapitalismus. In der Wall Street Nummer elf sitzt die größte Wertpapierbörse der Welt. Hier spekulieren Händlerinnen und Händler seit über 200 Jahren - mittlerweile täglich mit zig Milliarden Dollar. Wegen der exorbitanten Summen können Krisen der Wall Street, Börsen-Crashs, die ganze Welt erschüttern. Von Maike Brzoska (BR 2023)
Credits
Autorin: Maike Brzoska
Regie: Anja Scheifinger
Es sprachen: Caroline Ebner, Andreas Neumann, Diana Gaul, Benjamin Stedler, Clemens Nicol
Technik: Ursula Kirstein
Redaktion: Nicole Ruchlak
Im Interview: Prof. Boris Gehlen, Prof. Julia Rischbieter
Besonderer Linktipps der Redaktion:
ZDF – Terra X (2024): USA – Der Riss
Am 5. November 2024 wird bei den US-Präsidentschaftswahlen nicht nur über den nächsten Präsidenten, sondern auch über die demokratische Entwicklung des Landes entschieden. Vieles deutet darauf hin, dass diese, je nach Gewinner, sehr unterschiedlich verlaufen könnte. Dabei spielt der tiefe Riss, der die US-Gesellschaft durchzieht, eine wichtige Rolle. Jetzt, wo Donald Trump zum zweiten Mal zur Wahl steht, wird er besonders offensichtlich. In den Medien, vor Gericht, beim Beten, in Sachen Einkommen, Bildung und Ernährung. Und natürlich immer und überall beim Thema Race. ZUM PODCAST (externer Link)
Linktipps:
WDR (2020): Der große Crash – Die Wirtschaftskrise von 1929 in Deutschland
Am 24. und 25. Oktober 1929 stürzen an der New Yorker Börse Aktienkurse ins Bodenlose. Innerhalb kurzer Zeit werden gewaltige Vermögenswerte vernichtet: der "Schwarze Freitag" an der Wall Street. Nach den Jahren des Booms kann sich auch Deutschland dem Sog nicht entziehen. Der Film berichtet detailgenau, wie die Krise an den Börsen das alltägliche Leben veränderte. Eindrucksvoll erzählen Zeitzeugen von Not, Hunger und dem Verlust der Würde. Auch die Gier von Spekulanten ist Thema der Sendung.
JETZT ANSEHEN
Deutschlandfunk Kultur (2016): Geld schläft nie – Ein Blick hinter die Kulissen der Wallstreet
Nach der Finanzkrise ist die Wallstreet wieder Ziel der Träume junger Ökonomen. Nicht jeder hält der exzessiven Arbeit stand. Unternehmen haben darauf reagiert. Sie verbieten Mitarbeitern, nachts E-Mails zu bearbeiten und verordnen einen freien Tag in der Woche. JETZT LESEN
Und hier noch ein paar besondere Tipps für Geschichts-Interessierte:
Im Podcast „TATORT GESCHICHTE“ sprechen die Historiker Niklas Fischer und Hannes Liebrandt über bekannte und weniger bekannte Verbrechen aus der Geschichte. True Crime – und was hat das eigentlich mit uns heute zu tun?
DAS KALENDERBLATT erzählt geschichtliche Anekdoten zum Tagesdatum - skurril, anrührend, witzig und oft überraschend.
Und noch viel mehr Geschichtsthemen, aber auch Features zu anderen Wissensbereichen wie Literatur und Musik, Philosophie, Ethik, Religionen, Psychologie, Wirtschaft, Gesellschaft, Forschung, Natur und Umwelt gibt es bei RADIOWISSEN.
Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.
Alles Geschichte finden Sie auch in der ARD Audiothek:
ARD Audiothek | Alles Geschichte
JETZT ENTDECKEN
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
SPRECHERIN
Die Geschichte der Wall Street begann unter einem Baum – und zwar mit einem Versprechen:
ZITATOR
We the Subscribers do hereby solemnly promise, that we will not buy or sell from this day on any kind of Public Stock, at a less rate than one quarter percent Commission and that we will give a preference to each other in our Negotiations.
ZITATOR
Wir, die Unterzeichner, versprechen hiermit feierlich, dass wir von diesem Tag an keine Aktien zu einem geringeren Satz als einem Viertel Prozent Kommission kaufen oder verkaufen und dass wir uns gegenseitig den Vorzug geben werden.
SPRECHER
24 Männer unterzeichneten diese Vereinbarung im Mai 1792. Sie trafen sich unter einer Platane, einem buttonwood, deshalb spricht man vom Buttonwood Agreement. Es gilt als Gründungsdokument der mächtigsten Börse der Welt – die New York Stock Exchange, wie sie später heißen wird.
MUSIK
SPRECHERIN 2
Die ersten Jahre – oder: Das Geld fließt in die Neue Welt
SPRECHERIN
Die Platane, unter der sich die Männer trafen, stand in der Wall Street im südlichen Manhattan. Die Straße heißt so, weil es dort tatsächlich einen Wall, also eine kleine Mauer gab.
SPRECHER
Ende des 18. Jahrhunderts begannen Händler dort Wertpapiere feilzubieten. Ihre Geschäfte machten sie in Kaffeehäusern, vor allem im Tontines Coffee House, Wall Street Nr. 85. Die Geschäfte gingen gut, aber immer wieder kam es zu Betrug und Tricksereien, schreibt Charles R. Geisst in seinem Buch „Geschichte der Wall Street“. Kurse wurden manipuliert, Gelder veruntreut. Das sollte sich ändern. Und so gründeten mit dem Buttonwood Agreement die 24 Unterzeichner eine Art Club. Mit bestimmten Regeln, festen Gebühren und Handelszeiten. Wer sich nicht daran hielt, flog raus.
SPRECHERIN
In der Anfangszeit konnte man in der Wall Street vor allem Staatsanleihen erwerben. Wer der jungen US-amerikanischen Bundesregierung Geld leihen wollte, brachte es zu den Händlern und bekam im Gegenzug das Versprechen, das Geld nach einer bestimmten Zeit zurückzubekommen, inklusive Zinsen versteht sich.
SPRECHER
Gleich die allererste Anleihe brachte dem Staat 80 Millionen Dollar ein – damals eine enorme Summe. Das Geld war aber auch nötig, denn die amerikanische Bundesregierung hatte sämtliche Schulden aus dem Unabhängigkeitskrieg übernommen.
MUSIK
SPRECHERIN
An Kapital mangelte es nicht. Amerika war für viele Menschen in Europa ein verheißungsvolles Land. Die junge Republik bot ausreichend Land und barg Unmengen an Rohstoffen wie Holz und Eisenerz. Das versprach riesige Gewinne. Viele wollten deshalb ihr Geld dort investieren – oder wanderten gleich selbst in die USA aus.
SPRECHER
Im Tontines Coffee House gab es täglich zwei Sitzungen, eine am Vormittag und eine am Nachmittag. Die zum Verkauf stehenden Wertpapiere wurden ausgerufen und die Händler gaben Gebote ab. Alle Verkäufe zusammen ergaben am Ende des Tages den Börsenkurs. Die Geschäfte liefen gut. In der Wall Street herrschte reges Treiben, sagt der Wirtschaftshistoriker Boris Gehlen. Er ist Professor an der Universität Stuttgart.
01 O-TON (Gehlen)
Man muss sich das tatsächlich sehr hektisch vorstellen, weils da eben in kurzer Zeit um sehr große Geldsummen ging, die dann bewegt werden sollten und eben auch um die Möglichkeit als Erster an einem Geschäft teilzunehmen.
SPRECHERIN
Um Geschäfte geordnet abwickeln zu können, führte man Verhaltensregeln für das Börsenparkett ein.
02 O-TON (Gehlen)
Bekannt ist aus den Regelwerken, dass man explizit verboten hat, über das Parkett zu laufen, um dieser Hektik ein wenig entgegenzuwirken.
MUSIK
SPRECHER
Die Zahl der Wertpapiere stieg. Viele der damals neu gegründeten Eisenbahngesellschaften und Schifffahrtsunternehmen brauchten Kapital, das sie sich über die Börsen besorgten. Entweder über Anleihen oder über Aktien, also Anteile an ihrem Unternehmen.
SPRECHERIN
Die Händler verdienten sehr gut, deshalb zog die Wall Street viele Einwanderer an. Aber nicht jeder konnte Mitglied im exklusiven Club der New York Stock Exchange werden – denn dafür musste man schon einiges an Geld mitbringen.
03 O-TON (Gehlen)
Wenn wir uns die Mitgliedschaftskosten anschauen, dann war das das X-fache eines Jahresgehalts von Arbeitern. Also man musste eben erst einmal eine enorm hohe Summe an Geld überhaupt aufbringen, um dort handeln zu können.
MUSIK
SPRECHERIN 2
Fragwürdige Geschäfte – oder: Kurse, die plötzlich purzeln
SPRECHER
Aber es gab auch kleinere Börsen und andere Wege, in der Wall Street Geld zu verdienen. Manche Händler versuchten, hoch spekulative Wertpapiere unter die Leute zu bringen. Die gab es nämlich schon damals. In den Kaffeehäusern waren sie nicht geduldet, deshalb handelten sie auf der Straße. Man nannte sie Curbstone Brokers, also Bordsteinhändler. Später ging daraus die American Stock Exchange hervor.
SPRECHERIN
Wobei fragwürdige Geschäfte überall vorkamen. Es wurden zum Beispiel Kurse manipuliert.
SPRECHER
Um trotzdem das Vertrauen in den Finanzmarkt aufrecht zu erhalten, drohte die New York Stock Exchange mit drastischen Strafen – eine staatliche Regulierung gab es zu dieser Zeit allerdings nicht.
05 O-TON (Gehlen)
Kläger waren Börsenhändler, die Beklagten waren Börsenhändler und die Richter waren Börsenhändler. Und da ging es dann um die Bewertung, ob Transaktionen mit den Regeln der New York Stock Exchange vereinbar waren oder nicht. Und wenn man zu dem Schluss kam, dass jemand gegen die Regeln verstoße