WACHSTUM UND PLEITE - Die großen Strategien der Wirtschaftspolitik
Description
It's the economy, stupid! Bill Clinton hat diesen Ausdruck in den 1990ern im US-Wahlkampf berühmt gemacht. Er beschreibt, dass vor allem die Wirtschaftslage darüber entscheidet, ob ein Politiker gewählt wird oder nicht. Weil die Wirtschaft so zentral ist, versuchen auch Ökonominnen und Ökonomen Einfluss auf sie zu nehmen - und hatten immer wieder neue Ansätze, um die Wirtschaft in den Griff zu kriegen. Von Maike Brzoska (BR 2023)
Credits
Autorin: Maike Brzoska
Regie: Martin Trauner
Es sprachen: Katja Amberger, Frank Manhold, Maren Ulrich
Technik: Susanne Herzig
Redaktion: Nicole Ruchlak
Im Interview: Prof. Peter Spahn, Prof. Alexander Nützenadel, Katrin Hirte
Besonderer Linktipps der Redaktion:
mdr aktuell & hr (2024): Wendehausen – Heimat im Todesstreifen
Zu DDR-Zeiten lag das Dorf Wendehausen im Sperrgebiet der innerdeutschen Grenze. Das Grenzregime der DDR war hart, die Kontrollen scharf. Zeitzeugen berichten von Vertreibung, Flucht und zerstörten Existenzen. Wendehausen an der thüringisch-hessischen Grenze hat eine Vielzahl von dramatischen Familiengeschichten zu bieten, voll von Brüchen, Tragik und teilweise Tod. Dieser Podcast zeichnet die Geschichte des Ortes und der Menschen im Todesstreifen nach. Es geht auch darum, wie die DDR-Geschichte die Menschen vor Ort bis heute prägt. Und was das über das Ost-West-Verhältnis aussagt, 35 Jahre nach dem Fall der Mauer. ZUM PODCAST
Linktipps:
Deutschlandfunk Kultur (2024): Verliert Deutschland Wohlstand und Wettbewerbsfähigkeit?
Die deutsche Wirtschaft rutscht tiefer in die Krise. Die Industrie will die Transformation zur Klimaneutralität, fordert aber einen klaren politischen Rahmen und bessere Infrastruktur. Kann das Konzept soziale Marktwirtschaft den Standort retten? JETZT ANHÖREN
ARD alpha (2022): Arbeit, Zins und Geld – Keynesianismus
Nichts hat den britischen Ökonomen John Maynard Keynes mehr geprägt als die Folgen der dramatischen Weltwirtschaftskrise der 20er Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Im Gegensatz zu den vielen Millionen Arbeitslosen war sein Glaube an den Kapitalismus jedoch nicht erschüttert. Doch statt auf die Selbstheilungskräfte des freien Marktes, setzte er lieber auf die wirtschaftliche Gestaltungskraft des Staates. Der Staat sollte das ewige Auf und Ab zwischen Wirtschaftskrise und -boom entschärfen. Vor allem in den 50er, 60er und 70er Jahren bestimmte die von Keynes angeregte Wirtschaftspolitik die weltweiten Märkte. Vollbeschäftigung, Wachstum und Stabilität - war dies endlich ein verlässliches Programm für die Zukunft? JETZT ANSEHEN
Und hier noch ein paar besondere Tipps für Geschichts-Interessierte:
Im Podcast „TATORT GESCHICHTE“ sprechen die Historiker Niklas Fischer und Hannes Liebrandt über bekannte und weniger bekannte Verbrechen aus der Geschichte. True Crime – und was hat das eigentlich mit uns heute zu tun?
DAS KALENDERBLATT erzählt geschichtliche Anekdoten zum Tagesdatum - skurril, anrührend, witzig und oft überraschend.
Und noch viel mehr Geschichtsthemen, aber auch Features zu anderen Wissensbereichen wie Literatur und Musik, Philosophie, Ethik, Religionen, Psychologie, Wirtschaft, Gesellschaft, Forschung, Natur und Umwelt gibt es bei RADIOWISSEN.
Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.
Alles Geschichte finden Sie auch in der ARD Audiothek:
ARD Audiothek | Alles Geschichte
JETZT ENTDECKEN
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
MUSIK
ZITATOR
Die Ideen der Ökonomen und Philosophen, seien sie richtig oder falsch, sind mächtiger als man im Allgemeinen glaubt. Um die Wahrheit zu sagen, es gibt nichts anderes, das die Welt beherrscht.
SPRECHERIN
Ideen von Ökonomen und Philosophen sollen die Welt beherrschen – eine merkwürdige Aussage. War es Größenwahn, was John Maynard Keynes zu dieser Aussage veranlasste? Jedenfalls gilt der Brite gilt als einflussreichster Ökonom des 20. Jahrhunderts. Seine Ideen haben nicht nur die Wirtschaftstheorie revolutioniert, sondern hatten auch ganz praktischen Einfluss auf die Politik, genauer: auf die Wirtschaftspolitik. Keynes hat seine Theorie vor gut hundert Jahren entworfen. Anlass waren die damaligen Krisen, sagt der Ökonom Peter Spahn. Er ist emeritierter Professor der Universität Hohenheim.
01 O-TON (Spahn)
Der Börsencrash und die Große Depression, die danach kam, das bildete sicherlich den Anstoß für die Keynsche Theorie. Das war so eine Art Anschauungsmaterial für ihn. Aber auch schon in den 1920er Jahren war die englische Wirtschaft durch anhaltende Arbeitslosigkeit geprägt, und das hat Keynes eigentlich auch umgetrieben.
SPRECHERIN
Wie funktioniert eine Volkswirtschaft? Wenn man so will, ist sie das Ergebnis von zig Tausenden Entscheidungen, die wir alle täglich treffen. Was kaufe ich ein? Wie viel gebe ich dafür aus? Soll ich mehr sparen? Oder, von der Warte von Unternehmerinnen und Unternehmer aus betrachtet: Zu welchem Preis biete ich meine Waren an? Investiere ich in neue Maschinen oder muss ich demnächst Mitarbeitende entlassen? Ökonominnen und Ökonomen sind nun diejenigen, die verstehen wollen, wie das alles zusammenhängt. Das beschäftigte auch Keynes.
02 O-TON (Spahn)
Keynes kam zu der Einsicht, dass es gar keine überzeugende Theorie über die normale Funktionsweise der Gesamtwirtschaft gab. Und das hat ihn umgetrieben und ihn dann dazu gebracht, 1936 seine Allgemeine Theorie vorzulegen.
SPRECHERIN
Um zu verstehen, was Keynes Ideen so revolutionär machte, muss man wissen, wie man sich das Zusammenspiel in der Wirtschaft vorher vorgestellt hat.
03 O-TON (Spahn)
Es gab immer so die Idee, na ja, die Volkswirtschaft reguliert sich selber. Das ist ja die Idee einer Marktwirtschaft. Wenn einzelne Märkte im Ungleichgewicht sind, wenn es irgendwie ein Überangebot von bestimmten Gütern gibt, dann vertraut man darauf, dass die Preise sich entsprechend anpassen. Und so funktioniert das gewissermaßen im Sinne einer Selbstregulierung.
SPRECHERIN
Ein Beispiel: Nehmen wir an, auf einem Markt ist das Angebot an Broten größer als die Nachfrage. Dann senken die Bäckerinnen den Preis, damit die Markbesucher denken; oh, wie günstig! und ein paar Brote mehr kaufen. Am Ende sind trotz des übergroßen Angebots alle Brote verkauft und für den nächsten Markttag backen die Bäckerinnen ein paar weniger. So regulieren sich Angebot und Nachfrage über den Preis, der Knappheit oder Überfluss signalisiert. Der Markt ist am Ende wieder im Gleichgewicht. Diese Art der Selbstregulation ist eine der grundlegenden Ideen von klassischen ökonomischen Denkern wie Adam Smith oder Jean-Baptiste Say. Keynes beobachtete allerdings, dass sich die Gesamtwirtschaft nicht unbedingt mit einzelnen Märkten vergleichen lässt.
04 O-TON (Spahn)
Und dann stieß er auf zwei zentrale Gegenargumente in Bezug auf den Glauben, dass sich das alles gesamtwirtschaftlich selbstreguliert.
SPRECHERIN
Eines seiner Argumente bezog sich auf den Arbeitsmarkt. Die Arbeit ist, wenn man so will, die Ware, die auf diesem Markt angeboten wird. Der Lohn ist der Preis der Arbeit. Nach der klassischen Logik sinken die Löhne, wenn es Arbeitslosigkeit gibt – denn es gibt mehr Menschen, die Arbeit suchen. Die niedrigeren Löhne führen nun dazu, dass mehr Menschen eingestellt werden. Für die Unternehmen mag das erst mal Sinn machen, allerdings haben sinkende Löhne – gesamtwirtschaftlich betrachtet – auch noch andere Effekte, so Keynes.
05 O-TON (Spahn)
Er hat gesagt, gerade wenn die Löhne bei Arbeitslosigkeit sinken, macht das die Sache möglicherweise schlimmer. Weil wenn die Löhne sinken, dann sinken natürlich auch die Haushaltseinkommen der Arbeitnehmer, dann geht der Konsum zurück und das vertieft wieder die Krise. Das bedeutet, was die Unternehmen bei den Kosten durch sinkende Löhne an Entlastung gewinnen, das verlieren sie dann auf der Nachfrageseite, weil eben der Konsum zurückgeht.
MUSIK
SPRECHERIN
Daneben zeigte Keynes, dass auch der Geldmarkt besonders ist und gesamtwirtschaftliche Auswirkungen hat. Heute sind solche Zusammenhänge bekannt – vor gut hundert Jahren war das anders. Da sahen Politiker dem Abwärtstrend, der in die Große Depression führte, weitgehend untätig zu. Am Ende lag in zahlreichen Ländern der Welt die Wirtschaft brach und die Menschen verzweifelten, viele hungerten auch. Eine traumatische Erfahrung. Aber der Rat lautete damals eben: Stillhalten, Krisen gehen vorbei – und können sogar positive Effekte haben. Sagt der Wirtschaftshistoriker Alexander Nützenadel. Er ist Professor am Institut für Geschichtswissenschaften der Berliner Humboldt Universität.
06 O-TON (Nützenadel)
Das Problem war natürlich auch, dass man eine solche Krise bislang noch nie erlebt hatte und deswegen ni