Ein Kind - ja oder nein? Antonia Baum erzählt von der schwersten Entscheidung | Buchkritik
Update: 2025-08-29
Description
Laura ist Anfang 30, sie strebt eine geisteswissenschaftliche Unikarriere an und steckt mitten in der Promotion. Für den Lebensunterhalt arbeitet sie in der gynäkologischen Praxis von einem Freund ihres Vaters als Arzthelferin. Von ihrem Lebensgefährten Aram ist sie frisch getrennt - und schwanger: in der titelgebenden „achten Woche“.
Laura hat bereits eine Abtreibung hinter sich, dann bekam sie eine Tochter, Helena, heute fast drei, und jetzt ist sie also wieder schwanger: wieder von ihrem Freund Aram - oder korrekter: von ihrem Ex-Freund. Soll sie das Kind behalten oder nicht? Das ist die große Frage für Laura. Wie für so viele andere Frauen.
Die Geburtenrate in Deutschland sinkt. Zurzeit liegt sie bei etwa 1,3 Kindern pro Frau. Warum ist das so? Wer Antworten auf diese Fragen sucht, der kann sie in Antonia Baums kurzem Roman finden, der sich eher als ein langer Gedankenstrom liest, denn als klassisch erzählter Plot.
Antonia Baum umkreist sehr eindringlich und aus verschiedenen weiblichen Perspektiven die fast erdrückend große Unsicherheit, die Frauen heute bei der Kinderfrage umtreibt. Denn sie sind ja diejenigen, die am Ende, wie es Baum es so bitter-ironisch nennt, „die Suppe auslöffeln“:
Ins Wasser müssen die Frauen heute nicht mehr gehen - aber ihre Nöte, das zeigt Baum in „Achte Woche“ sehr anschaulich, sind nicht unbedingt kleiner geworden. Die Kinderfrage ist für viele immer noch eine schwere Bürde, mit der sie oft ziemlich allein gelassen werden.
In der Praxis, in der Laura arbeitet, kommen einige von ihnen zusammen. Baum erzählt ein paar Parallelgeschichten, in denen sich Lauras eigenes Schicksal spiegelt: Da gibt es zum Bespiel die Patientin Amelia, die sich - anders als Laura - sehr sicher über ihre Abtreibung zu sein scheint, es gibt Lauras Kollegin Elena, die Kinder bekommen hat, aber jetzt sehr unter ihnen leidet: „eine stille Heldin, die jeder schon mal ausgenutzt hat“ heißt es im Roman über sie.
Es gibt die 16-jährige Maha mit Migrationshintergrund, für die sich noch ganz andere Probleme stellen. Und es gibt Barbara, Lauras Mutter, die vom Vater Lutz lange getrennt ist. Heute lebt sie mit einer Frau zusammen - und an einer Stelle steht da ganz lapidar über sie: „Sie ist total verarscht worden.“
Das Verarscht- und das Alleingelassen werden: Für Laura trifft das in ganz wörtlichem Sinne zu. Eigentlich hatte sie sich ein zweites Kind mit Aram gewünscht. Das ist jetzt unterwegs, aber der Mann ist weg. Und das hier ist Lauras Dilemma:
„Achte Woche“ ist auch ein Roman über die große Abwesenheit der Männer, die sich schwierigen Situationen gerne mal entziehen: Hier sind sie ständig auf Reisen.
Auch in diesem schmalen Roman fächert Antonia Baum nochmal alle die Themen auf, die wir auch schon aus früheren Büchern von ihr kennen: Es geht, wie schon in „Stillleben“, um Rollenbilder, Mutterschaft und die vielfältigen Überforderungen heutiger Frauen, es geht auch um die Auswirkungen patriarchaler Strukturen und den männlichen Blick, den „male gaze“, um den schon Baums großartiger Roman „Siegfried“ kreiste.
Hier, in „Achte Woche“, erscheint das alles noch einmal sehr verdichtet. Die einzige Frau, die in diesem Roman souverän aufbegehrt, ist die Lateinamerikanerin Amelia:
Aber auch nur, weil Laura diese Frau insgeheim bewundert, die sich so konsequent dem „male gaze“ und allen gesellschaftlichen Erwartungen entzieht. Amelias Entscheidung gegen ihr Kind steht fest. Wie sich Laura am Ende entscheidet: Das lässt dieser kluge Roman natürlich offen.
Ist man schwanger, nimmt man sein Urteil (…) immer mit, egal, wohin man geht. Die Gewissheit, die darin liegt, hat (…) aber auch was Beruhigendes, jedenfalls für sie. Sie wird die Suppe auslöffeln. (…)Quelle: Antonia Baum – Achte Woche
Laura hat bereits eine Abtreibung hinter sich, dann bekam sie eine Tochter, Helena, heute fast drei, und jetzt ist sie also wieder schwanger: wieder von ihrem Freund Aram - oder korrekter: von ihrem Ex-Freund. Soll sie das Kind behalten oder nicht? Das ist die große Frage für Laura. Wie für so viele andere Frauen.
Die große Unsicherheit der Frauen bei der Kinderfrage
Die Geburtenrate in Deutschland sinkt. Zurzeit liegt sie bei etwa 1,3 Kindern pro Frau. Warum ist das so? Wer Antworten auf diese Fragen sucht, der kann sie in Antonia Baums kurzem Roman finden, der sich eher als ein langer Gedankenstrom liest, denn als klassisch erzählter Plot.
Antonia Baum umkreist sehr eindringlich und aus verschiedenen weiblichen Perspektiven die fast erdrückend große Unsicherheit, die Frauen heute bei der Kinderfrage umtreibt. Denn sie sind ja diejenigen, die am Ende, wie es Baum es so bitter-ironisch nennt, „die Suppe auslöffeln“:
…wenn Frauen ungewollt schwanger waren und arm, dann gingen sie ins Wasser, auf Gemälden, in der Literatur, sie gingen ins Wasser, wo sie die Suppe auslöffelten, schlammig mit Seerosen drin, verdorben und schön zugleich.Quelle: Antonia Baum – Achte Woche
Ins Wasser müssen die Frauen heute nicht mehr gehen - aber ihre Nöte, das zeigt Baum in „Achte Woche“ sehr anschaulich, sind nicht unbedingt kleiner geworden. Die Kinderfrage ist für viele immer noch eine schwere Bürde, mit der sie oft ziemlich allein gelassen werden.
Viele Frauen werden mit ihrer Entscheidung alleingelassen
In der Praxis, in der Laura arbeitet, kommen einige von ihnen zusammen. Baum erzählt ein paar Parallelgeschichten, in denen sich Lauras eigenes Schicksal spiegelt: Da gibt es zum Bespiel die Patientin Amelia, die sich - anders als Laura - sehr sicher über ihre Abtreibung zu sein scheint, es gibt Lauras Kollegin Elena, die Kinder bekommen hat, aber jetzt sehr unter ihnen leidet: „eine stille Heldin, die jeder schon mal ausgenutzt hat“ heißt es im Roman über sie.
Es gibt die 16-jährige Maha mit Migrationshintergrund, für die sich noch ganz andere Probleme stellen. Und es gibt Barbara, Lauras Mutter, die vom Vater Lutz lange getrennt ist. Heute lebt sie mit einer Frau zusammen - und an einer Stelle steht da ganz lapidar über sie: „Sie ist total verarscht worden.“
Das Verarscht- und das Alleingelassen werden: Für Laura trifft das in ganz wörtlichem Sinne zu. Eigentlich hatte sie sich ein zweites Kind mit Aram gewünscht. Das ist jetzt unterwegs, aber der Mann ist weg. Und das hier ist Lauras Dilemma:
Wenn sie das Kind nicht bekommt, wird sie ihm das nicht verzeihen, egal, wie sehr sie sich um Fairness bemüht. Aber wenn sie es bekommt, wird sie es ihm auch nicht verzeihen. Er weiß nichts von ihrer Schwangerschaft. Er hat sich nicht gemeldet und sie hat ihm nicht geschrieben, hat nicht angerufen, aus Angst vor seiner Reaktion.Quelle: Antonia Baum – Achte Woche
„Achte Woche“ ist auch ein Roman über die große Abwesenheit der Männer, die sich schwierigen Situationen gerne mal entziehen: Hier sind sie ständig auf Reisen.
Bekannte Themen wieder neu erzählt
Auch in diesem schmalen Roman fächert Antonia Baum nochmal alle die Themen auf, die wir auch schon aus früheren Büchern von ihr kennen: Es geht, wie schon in „Stillleben“, um Rollenbilder, Mutterschaft und die vielfältigen Überforderungen heutiger Frauen, es geht auch um die Auswirkungen patriarchaler Strukturen und den männlichen Blick, den „male gaze“, um den schon Baums großartiger Roman „Siegfried“ kreiste.
Hier, in „Achte Woche“, erscheint das alles noch einmal sehr verdichtet. Die einzige Frau, die in diesem Roman souverän aufbegehrt, ist die Lateinamerikanerin Amelia:
Amelia raucht selbstgedrehte Zigaretten, sie trinkt Bier, sie geht campen, sie will forschen, sie lässt alles wachsen und trägt schnelltrocknende, ultradünne, thermoregulierende Kleidung, bestimmt schwarz. (…) Sie kümmert sich nie darum, wie sie aussieht und was andere wollen, und das verzeiht Laura ihr nicht.Quelle: Antonia Baum – Achte Woche
Aber auch nur, weil Laura diese Frau insgeheim bewundert, die sich so konsequent dem „male gaze“ und allen gesellschaftlichen Erwartungen entzieht. Amelias Entscheidung gegen ihr Kind steht fest. Wie sich Laura am Ende entscheidet: Das lässt dieser kluge Roman natürlich offen.
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