Kumari - Nepals kindliche Göttin auf Zeit
Description
Kumaris gelten in Nepal als kindliche Göttinnen auf Zeit und sind für eine Vielzahl religiöser Rituale zuständig. Mit dem ersten Tropfen Blut, den sie vergießen, müssen die Mädchen in ihre Familien zurückkehren und versuchen, sich wieder in die Realitäten der nepalesischen Gesellschaft einzufinden. Autorin: Margarete Blümel (BR 2024)
Credits
Autorin dieser Folge: Margarete Blümel
Regie: Rainer Schaller
Es sprachen: Katja Amberger, Hemma Michel, Peter Weiß
Technik: Wolfgang Lösch
Redaktion: Bernhard Kastner
Im Interview:
Scott Berry, Lehrer und Autor einer Kumari-Biografie;
Rashmila Shakya, Ex-Kumari;
Prof. Axel Michaels, Indologe und Religionswissenschaftler;
Prof. Horst Brinkhaus, Indologe
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Literaturtipps:
- Berry, Scott: From Goddess to Mortal: The True Life Story of a Former Kumari. Vajra Publications, Kathmandu 2005. Einfühlsames Porträt der ehemaligen Kumari Rashmila Shakya, die ihre Erfahrungen als Kindgöttin schildert und in den religiösen Kontext ihres Heimatlandes Nepal einordnet.
- A Study of Living Goddess Kumārī: The Source of Cultural Tourism in Nepal by Him Lal Ghimir.
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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
ERZÄHLERIN:
Auf einem mit Brokat überzogenen Stuhl sitzt ein kleines, sehr ernst blickendes Mädchen, das die Aufgabe hat, sein Land zu beschützen. Bei der nun folgenden, Stunden währenden, Tempelzeremonie wird ein Büffel sein Leben lassen, Trommler werden ihre Klangkörper bearbeiten und Gläubige ihre Köpfe bis zum Boden vor der kindlichen Göttin verneigen.
Musik hoch
ERZÄHLERIN:
Das Mädchen ist stark geschminkt und in ein bis zu den Knöcheln reichendes Gewand gehüllt, das von Goldfäden durchwirkt ist. Manchmal ist diese Berufsbekleidung der Kumari, Nepals ”kindlicher Göttin”, auch tiefrot. Und: Die Kumari trägt einen mit Diamanten versehenen, in allen Farben schimmernden Kopfputz dazu.
Eines aber ist immer gleich: Die lebende Göttin hat zwar das Gesicht eines Kindes. Doch ihre Würde und Bestimmtheit, die sie an den Tag legt, lassen sie um Jahre älter erscheinen.
Musik mit Atmo 1 Tempelzeremonie verbinden
O-TON 1: EX-KUMARI RASHMILA SHAKYA
At the age of four, I became a Kumari. At the age of twelve, I retired from the Kumari house.
VO-Sprecherin-weiblich:
Ich war vier, als ich zur Kumari erhoben wurde. Und zwölf, als ich wieder ins weltliche Leben zurückkehrte.
ERZÄHLERIN:
Heute ist Rashmila Shakya 37 Jahre alt. Als sie das Kumari-Amt innehatte, war der König noch das Staatsoberhaupt Nepals. Damals kniete der königliche Regent vor der vierjährigen Rashmila nieder, um aus ihrer Hand den sogenannten ‚Tika‘ zu empfangen.
O-TON 2: RASHMILA SHAKYA
It’s become used to for me, because every time the king came to get the bless ...I know that I used to give the Tika to the king. I feel proud.
VO-SPRECHERIN-weiblich:
Ich hatte mich schnell daran gewöhnt, meinen Aufgaben ruhig und besonnen nachzukommen. Auch dann, wenn ich dem König den Tika, das hinduistische Segenszeichen, auf die Stirn tupfte. Bis heute macht mich das immer noch ein wenig stolz.
ATMO 1 Tempelzeremonie
O-TON 3: PROF. HORST BRINKHAUS
Manchmal werden sie mit sechs Jahren erst geweiht oder eingeführt, manchmal auch schon mit zwei Jahren, das ist sehr unterschiedlich. Es ist ja an eine ganze Reihe von Kriterien geknüpft, wer Kumari sein kann.
ERZÄHLERIN:
… sagt der Indologe Professor Horst Brinkhaus.
O-TON 4: PROF. HORST BRINKHAUS
Da werden Tests gemacht und einiges auf die Beine gestellt, um festzustellen, wen hat sich die Göttin Durga - oder Taleju, wie sie in Nepal genannt wird – ausgesucht als Inkarnation? Das gilt es ja herauszufinden. Man macht ja keine Kumari, das ist nicht Menschenwerk, sondern die Göttin ist sozusagen übergegangen in einen Mädchenkörper.
ERZÄHLERIN:
Es gibt mehrere Kumaris in Nepal. Die bedeutendste unter ihnen ist die in Kathmandu lebende ‚Royal Kumari‘.
O-TON 5: PROF. HORST BRINKHAUS
Es wird selten über die weniger bekannten Kumaris berichtet. Berichtet wird fast immer nur über die Royal Kumari in Kathmandu und es gab auch einige Berichte über eine Bhaktapur-Kumari, die nämlich in Amerika war mit elf Jahren - als Kumari noch, wohlgemerkt, nicht erst danach.
MUSIK m03 (Holiya Mela, Traditional Nepal Folk Tunes, K:= Bharat Nepali, 0:34 Min)
ERZÄHLERIN:
Etwa zehnmal im Jahr verlässt die Royal Kumari den Palast, um religiösen Zeremonien beizuwohnen. Die inzwischen meist als ‚Kathmandu-Kumari‘ bezeichnete lebendige Göttin wird bei diesen Gelegenheiten stets in einer Sänfte befördert, da sie sonst Gefahr liefe, sich zu verunreinigen oder sich zu verletzen, sagt der Indologe und Religionswissenschaftler Professor Axel Michaels:
O-TON 6: PROF. AXEL MICHAELS
Es ist schon etwas schwieriger für die Kathmandu-Kumari, weil die eine so herausragende Stellung hat. Sie gab ja früher dem König den Tika und hat ihn gewissermaßen dadurch legitimiert für ein Jahr. Aber in Bhaktapur etwa ist die Kumari ja ein ganz normales Mädchen, die auch nicht so eine isolierte Stellung hat wie die Kathmandu-Kumari, die ja in einem eigenen Haus wohnt und eigentlich nicht auf die Straße darf. Sie kann nur getragen werden. Die auch nicht mit anderen Kindern einfach so spielen kann. Das gilt aber eigentlich nur für die Kathmandu-Kumari.
ERZÄHLERIN:
Aber selbst hier bestätigen Ausnahmen die Regel, weiß der Lehrer und Autor Scott Berry, der die Biografie der Kathmandu-Kumari Rashmila Shakya geschrieben hat:
O-TON 7: SCOTT BERRY
We had two daughters who were eight and six at the time... And they got to be friends that way.
VO-SPRECHER-männlich:
Unsere Mädchen waren acht und sechs Jahre alt, als wir nur ein paar Straßen weit entfernt vom Tempelpalast wohnten, in dem die Kumari ihre Wohnstatt hatte. Meine Töchter waren fasziniert davon, dass ganz in ihrer Nähe ein Mädchen lebte, das eine Göttin war. Und sie gingen jeden Tag zu ihrem Haus und saßen im Hof. Eines Tages stand sie oben auf der Treppe und rief: „Ich habe einen Ball. Wollt ihr spielen?“- „Ja“, sagten meine Töchter. Aber natürlich durften sie nicht nach oben gehen, schon allein, weil sie keine Hindus sind. Und sie durfte nicht nach unten kommen. Also blieb sie oben auf der Treppe, und meine Töchter standen unten und warfen den Ball hin und her. So wurden sie zu Freundinnen.
MUSIK m04 (Rato Bhale, Traditional Nepal Folk Tunes , K:= Krishna Gurung, 1:15 Min)
ERZÄHLERIN:
Diese Erinnerung hat die ehemalige Kathmandu-Kumari Rashmila Shakya in Scott Berrys „From Goddess to Mortal“ preisgegeben. Ebenso wie die Auswahlkriterien für die Kandidatinnen, die ihr noch heute leicht über die Lippen gehen: ein günstiges Horoskop, die körperliche Unversehrtheit der Kandidatinnen und die richtige Kaste.
O-TON 8: RASHMILA SHAKYA
Shakya caste, sacred Shakya. Yeah. And … are taken out from the Kumari house in the festival in a year.
VO-SPRECHERIN-weiblich:
Wir müssen aus der Shakya-Kaste kommen. Und unser Horoskop muss klar zeigen, dass wir gute Eigenschaften aufweisen und unserem Land nützlich sein können. Wenn Astrologen und Priester das herausgefunden haben, kommt die Frau aus der Familie, die mit der Kumari unter einem Dach lebt und sie betreut. Sie schaut sich den Körper und das Gesicht des Mädchens genau an und untersucht alles nach Wunden oder Kratzern. Wenn auch dieser Test bestanden ist, zieht das Mädchen als lebendige Göttin in den oberen Trakt des Kumari-Hauses ein, den sie nur verlässt, wenn sie zu Zeremonien und religiösen Festen abgeholt wird.
Atmo 2 Tempel Kathmandu
ERZÄHLERIN:
Die Kumaris stammen aus den Reihen der Newars, einer vor allem im Kathmandu–Tal beheimateten Volksgemeinschaft. Die Newars pflegen eine weltweit einzigartige Sonderform des Buddhismus, den nach ihnen benannten ‚Newar-Buddhismus‘. Die lebende Göttin wiederum wird seit Langem als Reinkarnation einer Hindu-Gottheit betrachtet: Durga, die sich in Nepal als ‚Taleju‘ manifestiert hat. Taleju soll vor einigen Jahrhunderten ins Kathmandu-Tal gekommen sein und sogleich zur Schutzgöttin der nepalesischen Königsfamilien und des Landes aufgestiegen sein. Schließlich aber nahm Durga/Taleju die Gestalt eines kleinen Newarmädchens an. So entstand ein göttliches Amt, das seitdem von einer wechselnden Schar auserwählter Kumaris versehen wird.
O-TON 9: PROF. HORST BRINKHAUS
Die Kumari wird von Buddhisten wie auch von Hindus verehrt, übrigens nicht nur vo