DiscoverSWR2 Kultur Aktuell„Jacaranda“ von Gaël Faye – Wie Ruanda den Völkermord noch heute verarbeitet
„Jacaranda“ von Gaël Faye – Wie Ruanda den Völkermord noch heute verarbeitet

„Jacaranda“ von Gaël Faye – Wie Ruanda den Völkermord noch heute verarbeitet

Update: 2025-09-01
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Der Völkermord belastet die Nachgeborenen 


Ein Baum wird gefällt, damit beginnt die Erzählung. Der Jacaranda mit seinen lavendelblauen Blättern ist das geheime Versteck der Romanfigur Stella. Er ist auch ein stummer Zeuge des Genozids: Unter ihm begraben liegen ihre vier ermordeten Geschwister. Als der Baum als Symbol für die Vergangenheit einem seelenlosen Neubau weichen soll, bricht Stella zusammen.

Im Flur des Krankenhauses spricht der Arzt mit ihrer Mutter. Sagt etwas von posttraumatischer Belastungsstörung. Die Mutter lacht nervös auf. „Wovon reden Sie, Doktor? Sie hat nie etwas Schlimmes erlebt und immer alles gehabt, was sie brauchte.“ Ob Stella eine Überlebende sei, fragt der Arzt. Dann sieht er das Geburtsdatum auf dem Krankenblatt. Stella ist einundzwanzig.

Quelle: Gaël Faye –Jacaranda



Stella hat den Völkermord der Hutu an den Tutsi im Jahr 1994 nicht miterlebt. Dennoch leidet sie unter Albträumen und ist psychisch instabil. Damit steht Stella im zweiten Roman von Gaël Faye für eine Generation in Ruanda, die mit den Folgen leben muss. Mit dem „unheilbaren Gewissen der Henker und der Opfer“, so formuliert es die Hauptfigur Milan. 

Die Hauptfigur kämpft gegen das Schweigen der Mutter an


Milan ist in Frankreich geboren, als Sohn einer ruandischen Mutter, die nie von ihrer Heimat erzählen will. So entdeckt er seine Wurzeln auf eigene Faust. Er steht seinem Cousin beim Prozess gegen die Mörder seiner Familie bei. Er transkribiert alte Kassetten, mit denen Stella die Lebensgeschichte ihrer Großmutter festhält. Das alles tut er gegen den Willen seiner Mutter.

Ich verbiete dir, meine Familie zu belästigen. Die haben schon genug Probleme. Wenn du unbedingt nach Ruanda willst, musst du allein klarkommen. Und wehe, du stocherst in der Vergangenheit herum. Ich untersage dir, meine Familie zu verhören wie ein Kommissar. In unserer Kultur ist man diskret. Alles andere ist unhöflich und gehört sich nicht.

Quelle: Gaël Faye –Jacaranda



Die Kategorien Hutu und Tutsi leben weiter


Diese Diskretion ist weniger eine kulturelle Eigenart als vielmehr eine typische Traumareaktion. Auch die deutsche Nachkriegsgesellschaft entschied sich für das Schweigen. Daraus erwuchs in Ruanda eine Gesellschaft voller Misstrauen, die bis heute in den ethnischen Kategorien Hutu und Tutsi denkt, aber von ihnen in der Öffentlichkeit nicht mehr sprechen darf.

Der Stoff ist autobiografisch inspiriert


Das Schweigen lastet auf den Figuren von Gaël Faye, weil er es selbst erlebte. Auch seine eigene ruandische Mutter verstummte gegenüber den Schrecken ihrer Kindheit. Auch er entdeckte seine zweite Heimat neben Frankreich spät. Heute lebt er überwiegend in der Hauptstadt Kigali und verarbeitet von hier aus die postkoloniale Tragödie Ostafrikas, wie auch schon in seinem ersten Roman „Kleines Land“. 

Das Gift der Spaltung entspringt der Kolonialzeit


Der Nachfolger „Jacaranda“ ist eben nicht nur eine Reflexion darüber, wie man nach der Katastrophe weiterlebt. Er hat auch die nötige analytische Tiefe uns beizubringen, wer der Gesellschaft das Gift der Spaltung eingeträufelt hatte: belgische Kolonialherren.

Um ihre Theorie der Rassen wissenschaftlich zu untermauern, benutzten belgische Wissenschaftler alle möglichen Messinstrumente wie Kraniometer oder Anthropometer. Aus den Maßen von Nase, Kiefer, Stirn, Ohren, Armen und Schienbeinen schlossen sie auf Wesen und Charakter der Menschen und deren angebliche Zugehörigkeit zu einer Bevölkerungsgruppe. So erklärten sie alle Großen, Schlanken zu Tutsi und alle Kleinen, Gedrungenen zu Hutu. Tutsi seien hinterlistig und raffiniert, Hutu schüchtern und faul.

Quelle: Gaël Faye –Jacaranda



Statt Gewaltporno viel Feingefühl und sogar Hoffnung


Viel Schmerz kommt zur Sprache, aber der Autor benennt den Horror, ohne pornografisch zu sein. Seine liebenswerten Figuren entwickelt er mit großer Empathie. Am Ende scheint es möglich, selbst in einem geschundenen Land wie Ruanda sein persönliches Glück zu finden.
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