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Lion Feuchtwanger - Ein Schicksal, drei Bibliotheken

Lion Feuchtwanger - Ein Schicksal, drei Bibliotheken

Update: 2025-08-28
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Description

Bibliotheken haben bekanntlich keine Füße. Aber - Lion Feuchtwanger, der Meister des historischen Romans, musste schnell sein, auf der Flucht vor den Nazis. So baute er in seinem Leben drei Bibliotheken auf, mit jeweils mehr als 10.000 Büchern: In Berlin, im französischen und amerikanischen Exil. Diese Bibliotheken waren weit mehr als nur Bücher in Regalen - sie waren das immobile alter ego Lion Feuchtwangers. Von Michael Zametzer


Credits
Autor dieser Folge: Michael Zametzer
Regie: Kirsten Böttcher
Es sprachen: Udo Wachtveitl, Christopher Mann
Technik: Stefan Oberle
Redaktion: Thomas Morawetz


Im Interview:
Dr. Julia Schneidawind, Ludwig-Maximilians-Universität München
Dr. Heike Specht, Schriftstellerin, International Feuchtwanger Society



Und noch eine besondere Empfehlung der Redaktion:

Noch mehr Interesse an Geschichte? Dann empfehlen wir:
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Linktipps:
Website der Ad hoc-AG „Judentum in Bayern in Geschichte und Gegenwart“ an der Bayerischen Akademie der Wissenschaften HIER gehts zur Website


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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.


Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:


Zitator (Lion Feuchtwanger): 



Wie gefällt Ihnen mein Haus, Herr X? Lebt es sich angenehm darin? hat der silbergraue Teppichbelag der oberen Räume bei der Plünderung durch die SA- Leute sehr gelitten?


Sprecher: 


Im Jahr 1933 besetzen und enteignen die Nazis das Haus von Lion Feuchtwanger in Berlin…


Zitator (Lion Feuchtwanger):


Was fangen Sie wohl mit den beiden Räumen an, die meine Bibliothek enthielten? Bücher, habe ich mir sagen lassen, sind nicht sehr beliebt in dem Reich, in dem sie leben, Herr X. Und wer sich damit befasst, gerät leicht in Unannehmlichkeiten.


Sprecher: 


Die Bibliothek umfasst über 30.000 Bücher. Erstausgaben, deutsche Klassiker, Jüdische Literatur. Das Arbeitswerkzeug des Schriftstellers, des Bestsellerautors Lion Feuchtwanger…


Zitator (Lion Feuchtwanger)


Kommt es Ihnen nicht doch manchmal merkwürdig vor, dass sie in meinem Haus sitzen? Ihr Führer gilt sonst nicht als Freund der jüdischen Literatur. 


Musik 2: The ship – 1:02 Min


Sprecher:


Drei Bibliotheken hat Lion Feuchtwanger in seinem Leben aufgebaut. Die Erste in Berlin. Und noch zwei im Exil. Im französischen Sanary-Sur-Mer, und schließlich in Pacific Palisades, einer Villenkolonie nahe Los Angeles. Er, der Münchner Jude, der Weltschriftsteller, berühmt für seine historischen Romane, für Jud Süß, Erfolg, die Josephus-Trilogie, wird die USA nie mehr verlassen. Er bleibt staatenlos. Und die Bibliotheken erzählen vom Leben des deutschen, des bayerischen, des jüdischen Schriftstellers Lion Feuchtwanger. 


1 ZSP Julia Schneidawind


Es sollte auch eine Bibliothek der deutschen Sprache werden… 


Sprecher: 


Julia Schneidawind hat für die Ad hoc-Arbeitsgruppe „Judentum in Bayern in Geschichte und Gegenwart“ an der Bayerischen Akademie der Wissenschaften gearbeitet und forscht nun am Lehrstuhl für Jüdische Geschichte und Kultur an der Ludwig-Maximilians-Universität in München.


Für ihre Doktorarbeit hat sie die Schicksale von Privatbibliotheken deutsch-jüdischer Schriftsteller untersucht: Franz Rosenzweig, Jakob Wassermann, Karl Wolfskehl, Stefan Zweig und – Lion Feuchtwanger. Dessen letzte Bibliothek, in Pacific Palisades bei Los Angeles, hat für sie einen besonderen Stellenwert.


2 ZSP Julia Schneidawind


Er hatte ja ganze Abteilungen, die sich wirklich deutschsprachigen Literaten und Schriftstellerinnen gewidmet haben, und es war ihm auch ein Anliegen, das zu zeigen. Und es waren zum einen die Exil-Schriftsteller, -Schriftstellerinnen, aber auch eben jene, die es nicht ins Exil geschafft haben. Und dafür stellt der Ort auf jeden Fall auch einen ja, wie wir heute sagen, eine Memorial Library dar.  


Sprecher:


Aber egal, ob in Berlin, im französischen oder amerikanischen Exil - Natürlich war jede dieser drei Bibliotheken Feuchtwangers auch ein repräsentativer Ort. Besucher sollten nicht nur seltene Erstausgaben bewundern, sondern auch das intellektuelle Koordinatensystem erspüren können, in dem sich der Erfolgsschriftsteller bewegte. Die Bibliotheken waren aber noch mehr. Sie waren Feuchtwangers immobiles Alter Ego. Und als ihr Besitzer schnell sein musste, um zu entkommen, blieben Sie am Ort und waren den Nazis ausgeliefert. So erzählen diese Bibliotheken zunehmend auch von einem Menschen in der Fremde, der immer wieder versucht, mit Büchern eine Verbindung zum verlorenen Zuhause herzustellen. 


MUSIK 3: Möw‘, Du…“ (Drehorgel) -  30 Sek


Sprecher:


Lion Feuchtwanger kommt aus einem bürgerlichen Münchner Haus. Der Vater, Sigmund Feuchtwanger ist erfolgreicher Margarinefabrikant. Er stammt aus einer alten fränkisch-jüdischen Familie. Lion, ältestes von neun Kindern, wächst im Münchner St. Anna-Viertel auf. Die Familie gehört zum orthodoxen Münchner Judentum, lebt die strengen jüdischen Traditionen, aber… 


3 ZSP Heike Specht


Die Feuchtwangers waren eben eine besondere Mischung für die damalige Zeit. Bayerisch-Barock würde ich fast sagen, und jüdisch-orthodox. Das ging ganz gut zusammen.


Sprecher: 


Die Schriftstellerin Heike Specht hat sich intensiv mit dem Leben der weitverzweigten Familie Feuchtwanger beschäftigt, mit ihren Traditionen und ihrem jüdischen Selbstverständnis. Ein Selbstbewusstsein, dass sich auch in der stattlichen Bibliothek des Elternhauses widerspiegelt. Julia Schneidawind.


4 ZSP Julia Schneidawind


Das ist, denke ich, charakteristisch für diese Sammlungen um die Jahrhundertwende und des frühen 20. Jahrhunderts, dass diese Sammlungen natürlich seit der Jugend meistens wachsen, wenn man aus einem bildungsbürgerlichen Elternhaus kommt. Und natürlich spielen dann auch Antiquariate eine große Rolle. Und so wachsen sozusagen diese Sammlungen über die Generationen und kriegen natürlich immer einen sehr eigenen Zuschnitt über die Interessen, die man eben persönlich dann auch hat.  


Sprecher: 


Die Bibliothek von Vater Sigmund bietet einen Schatz an jüdischer und weltlicher Literatur und ist bei bibliophilen Menschen über die Grenzen Münchens hinaus bekannt. In den Regalen stehen Bibelinterpretationen ebenso wie die Märchen von Wilhelm Hauff und Werke der Deutschen Klassik, aber auch moderne Literatur von Wedekind bis Hauptmann. Prägender Lesestoff für den jungen Lion.


5 ZSP Julia Schneidawind


Also gerade in den Jugendjahren Feuchtwangers, vermute ich, da hat er auch sehr stark auf die Bibliothek seines Vaters zurückgegriffen. Er hatte eine unglaublich einzigartige Sammlung, die heute komplett in Vergessenheit geraten ist und auch leider verschollen. 


MUSIK 4: König Waldemar’s Nigun – 32 Sek


Sprecher: 


Seine Schulzeit in München, auf dem konservativen Wilhelmsgymnasium, beschreibt Lion Feuchtwanger nicht gerade überschwänglich positiv. Und zuhause wartet dann noch ein Privatlehrer mit den Studien von Talmud und Bibel. Aber – er beginnt früh zu schreiben, gewinnt schon als Gymnasiast einen Wettbewerb, studiert nach dem Abitur Geschichte, Philosophie und Deutsche Philologie, promoviert brillant über Heinrich Heines „Rabbi von Bacherach“.


(Musik aus) 


Eine akademische Laufbahn, eine Professur aber ist ihm – als Juden – de facto verwehrt. Er gründet eine Zeitschrift, schreibt Artikel, Theaterkritiken und lebt das Leben der Schwabinger Bohème. Feuchtwanger macht mit ersten Veröffentlichungen von sich reden, hält sich aber auch als Nachhilfelehrer finanziell über Wasser. Julia Schneidawind.


6 ZSP Julia Schneidewind


Da gibt es Anekdoten darüber, dass er aufgrund seiner, ja, nicht Abneigung zum Glücksspiel häufig seine Bibliothek verspielte und dann die Bücher sozusagen abgeben musste. 


Sprecher: 


Wobei die ersten Bücherbestände Feuchtwangers wohl schwer den Namen „Bibliothek“ verdienen mögen. Den Luxus einer eigenen, großen, repräsentativen Bibliothek wird er sich erst Jahre später erfüllen können. Noch aber, in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg, ist das Geld knapp, und die Lust Lions am Leben groß. 1912 heiratet er Martha Löffler, die aus einer wohlsituierten, jüdischen Familie in München stammt. Das Paar schwimmt im Zeitgeist, im Leben der Bohème. Dann 


der Schicksalsschlag: Die einzige Tochter, Elisabeth, stirbt schon im Alter von zwei Monaten.


MUSIK 5: Means of escape – siehe vorn – 45 Sek


Sprecher: 


Das Paar macht eine ausgedehnte Reise, nach Südfrankreich, nach Italien und Nordafrika. Im August 1914 – sie sind gerade in der französischen Kolonie Tunesien – bricht der Weltkrieg über Europa herein. Feuchtwanger verfällt nicht in patriotisches Hurra-Geschrei wie viele seiner schreibenden Kollegen, entzieht sich aber auch nicht der Einberufung. Seine labile Gesundheit erspart ihm den Fronte

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Michael Zametzer