ATOMBOMBE – Robert Oppenheimer und die Verantwortung
Description
Robert Oppenheimer hat mit der Atombombe eine Massenvernichtungswaffe entwickelt, die die gesamte Menschheit bedroht. In seiner Person verdichtet sich die Frage nach den Grenzen der technischen Machbarkeit und der Verantwortung des Wissenschaftlers. Von Brigitte Kohn
Credits
Autorin: Brigitte Kohn
Regie: Sabine Kienhöfer
Es sprachen: Katja Amberger, Thomas Birnstiel, Peter Weiß, Christian Baumann
Technik: Susanne Herzig
Redaktion: Andrea Bräu
Im Interview: Dr. Alexander Blum
Eine Produktion des Bayerischen Rundfunks 2025
Linktipps
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NDR (2021): Nichtverbreitungsvertrag zu Atomwaffen auf der Kippe?
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Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
MUSIK
ERZÄHLERIN:
Aus dem Protokoll der Anhörung des Physikers Julius Robert Oppenheimer durch die US-amerikanischen Atomenergiekommission im Jahr 1954:
FRAGESTELLER – Zitator 1
Mr. Oppenheimer. Sie hatten schreckliche moralische Skrupel?
OPPENHEIMER – Zitator 2
Ich kenne niemanden, der nach dem Abwurf der Atombombe nicht schreckliche moralische Skrupel gehabt hätte.
FRAGESTELLER: Zitator 1
Ist das nicht ein bisschen schizophren?
OPPENHEIMER: Zitator 2
Was? Moralische Skrupel zu haben?
MUSIK
ERZÄHLERIN
50 Jahre zuvor. Robert Oppenheimer wird am 22. April 1904 in New York geboren. Beide Eltern, ein Textilingenieur und eine Malerin, sind Juden und haben deutsche Wurzeln. Der Vater ist mit 17 Jahren nach New York gekommen und hat es hier zu Reichtum gebracht. Robert ist der ältere von zwei Söhnen, ein sensibles und ungeheuer aufgewecktes Kind mit dichten schwarzen Locken und ausdrucksvollen wasserhellen Augen. Beide Eltern vergöttern ihn und fördern ihn nach Kräften. Ihre Ansprüche an Roberts Leistungsbereitschaft und auch an die innerfamiliäre Harmonie sind hoch, und das erzeugt manchmal Druck.
ERZÄHLER:
Er sei ein gehorsamer und grässlich guter Junge gewesen, sagt Oppenheimer später von sich selbst. Was ihm gefehlt habe, sei die gesunde Möglichkeit gewesen, sich auch mal danebenzubenehmen.
ERZÄHLERIN:
Die Eltern sind fortschrittlich eingestellt und nicht religiös. Sie schicken ihren Sohn auf die Schule der Society for Ethical Culture, Gesellschaft für ethische Kultur, die sich einem weltlichen jüdischen Humanismus verpflichtet fühlt, sagt Alexander Blum, Physikhistoriker am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte in Berlin.
01 O-TON DR. BLUM
Seine Eltern wollten sich assimilieren in der amerikanischen Haute Volee. Die religiösen Traditionen waren nicht wichtig, aber gewisse kulturelle Elemente des Judentums kann man durchaus wiedererkennen. Es ist ein sehr optimistisches Weltbild, ein Weltbild, wo auch der Verstand und die Wissenschaft als positive Kräfte gesehen werden, die, wenn der Mensch sie zu gebrauchen weiß, die Welt zu einem besseren Ort machen können.
MUSIK
ERZÄHLERIN:
Die Schule betont die Handlungsfähigkeit und die moralische Verantwortung des Einzelnen. Vom Menschen hänge alles ab, der Mensch dürfe sich viel zutrauen, er müsse sich aber auch stark in die Pflicht nehmen. Die Erwartungen sind also auch hier sehr hoch. Der Glaube an eine übergeordnete, göttliche Instanz, die lenkt oder schützt, spielt kaum mehr eine Rolle.
ERZÄHLER:
Oppenheimers enger Freund, der Physiker Isidor Isaac Rabi, überliefert in späteren Jahren, Oppenheimer habe skeptisch auf seine Schulzeit zurückgeblickt. Die übermittelten Moralvorstellungen hätten seine Fragen nach der Stellung und Aufgabe des Menschen im Universum nicht zufriedenstellend lösen können.
ERZÄHLERIN:
Aber es gibt viele engagierte Lehrer an dieser Schule, die Robert vor allem für die Naturwissenschaften begeistern, aber auch für alles andere: moderne Literatur, Sprachen, Philosophie, Psychologie. Seine vielseitigen Begabungen verführen ihn oft dazu, sich zu zerfleddern, sich zu viel zuzumuten und sich von Gleichaltrigen, die ihn manchmal hart schikanieren, zu isolieren.
ERZÄHLER:
Auch an der Universität Harvard bedeuten ihm Bücher mehr als Freunde, und sein ruheloser Geist probiert sich ohne festen Plan in zahlreichen Fächern aus. Aber die Physik fesselt ihn auf Dauer am meisten, denn sie bietet mehr Neuland als jede andere Wissenschaft.
02 O-TON DR. BLUM
Da hat sich wahnsinnig viel getan um die Jahrhundertwende. Paul Dirac, einer der Pioniere der Quantenmechanik, beschreibt die Zeit als das Goldene Zeitalter der Physik, in der jeder mittelmäßige Physiker erstklassige Entdeckungen machen konnte, weil mit der Quantenmechanik ein ganz neuer mathematischer Rahmen gegeben war, mit der man die Welt in einem ganz neuen Blickwinkel betrachten konnte.
ERZÄHLERIN:
Nach seinem Abschluss in Harvard geht Oppenheimer nach Europa, denn dort lehren die führenden Kapazitäten.
03 O-TON BLUM:
Anders als bei der Relativitätstheorie, die man auf einen Menschen, letztlich auf Einstein, zurückführen kann, war die Quantenmechanik wirklich ein kollaboratives Projekt, zu dem Wissenschaftler in verschiedenen Zentren, die über Europa verstreut waren, beigetragen haben. Und Oppenheimer hat die eigentlich alle abgehakt. Er ist von Cambridge nach Leiden zu Ehrenfest, war dann in Göttingen bei Max Born, in Zürich bei Wolfgang Pauli. Diese Generation, etwas älter als er, die die Quantenmechanik begründet haben, da hat er wirklich bei allen vorbeigeschaut.
ERZÄHLERIN:
Oppenheimers Lehrer finden ihn begabt und kreativ, aber auch sprunghaft und arrogant. Und ungeschickt. Beim Experimentieren im Labor gehen ihm oft die Instrumente zu Bruch. Von Einsamkeit und Versagensängsten gequält, gerät er in eine tiefe seelische Krise.
MUSIK
ERZÄHLER:
Manchmal fühlt er sich wie versteinert, dann wieder kochen die Aggressionen hoch. Dem Laborleiter will er mal einen vergifteten Apfel aufs Pult gelegt haben, so kolportiert er es selbst – doch sicher belegt ist das nicht, manche führen die Geschichte auf seine überhitzte Phantasie zurück.
ERZÄHLERIN:
Langsam findet Oppenheimer wieder in die Spur, dank seiner wachsenden Liebe zur theoretischen Physik. Quantentheoretisch und mathematisch, bisweilen auch philosophisch orientiert, bietet sie ihm den Zufluchtsraum des abstrakten Denkens und bringt ihm die Geheimnisse des Universums näher. Wenige Jahre später wird sie ihm die Grundlagen für den Atombombenbau liefern – mit verheerenden Folgen.
04 O-TON Dr. BLUM:
Alles, was Oppenheimer gemacht hat, von seinen ersten Arbeiten zu Molekülen bis hin zur Atombombe, das war alles Quantenphysik, letztlich.
ERZÄHLERIN:
1929 tritt er eine Stelle an der Universität von Berkeley in Kalifornien an und macht die Quantenphysik auch in Amerika bekannt. Seine Studenten verehren ihren jungen exzentrischen Lehrer, der immer mit seinem geliebten breitkrempigen Hut und einer Zigarette im Mundwinkel vor der Tafel steht und gern auch mal privat ein paar Drinks ausgibt. Neben seiner Lehrtätigkeit schreibt Oppenheimer viel beachtete Aufsätze, unter anderem zur Zusammenführung von Quantentheorie und Relativitätstheorie.
MUSIK
ERZÄHLER:
Allerdings ist er oft zu ungeduldig und sprunghaft, um alle Probleme im Detail zu durchdenken. Eigenschaften, die er wohl auch ab dem Jahr 1942, als er für das so genannten „Manhattan-Projekt“, die Entwicklung der Atombombe arbeitet, auch nicht ganz ablegen kann.
Der Physiker Oppenheimer hätte im Laufe seines Lebens eigentlich gerne, wie so einige seiner damaligen Kollegen, einen Nobelpreis gewonnen, doch die zeitaufwändige Leitung des „Manhattan-Projekts“ hat ihm das möglicherweise auch vermasselt. Dazu der Physikhistoriker Alexander Blum:
05 O-TON DR. BLUM:
Wenn man das Manhattan-Projekt rausschneidet und sich nur die Arbeiten anguckt, die er letztendlich geschrieben hat, dann ist er ein solider, aber nicht herausragender Physiker im 20. Jahrhundert. Er hat sich mit Fragen beschäftigt, die dann sehr wichtig wurden, und die Frage