WESTDEUTSCHLAND NACH 1945 - Mythos Trümmerfrauen
Description
Nach dem Zweiten Weltkrieg kümmerten sich vor allem professionelle Baufirmen um die Beseitigung der Trümmer, mit Hilfe tüchtiger Frauen. Aber nicht sie, sondern die "Trümmerfrauen" wurden zum Mythos. Von Marita Krauss (BR 2021)
Credits
Autorin: Marita Krauss
Regie: Martin Trauner
Technik: Siglinde Hermann
Es sprachen: Katja Amberger, Detlef Kügow, Christiane Blumhoff, Jerzy May
Redaktion: Nicole Ruchlak
Im Interview: Else Rau
Linktipps
ARD Archivradio (2025): Reportage über Trümmerfrauen in Berlin
vDas Bild der fröhlich anpackenden Trümmerfau prägt bis heute unsere Wahrnehmung vom Wiederaufbau der zerbombten deutschen Städte nach dem Zweiten Weltkrieg. Schon während des Krieges hatte Goebbels Propagandaministerium Schauspielerinnen in den Trümmern fotografieren lassen, um nach alliierten Luftangriffen Zuversicht in der Bevölkerung zu verbreiten. Nach dem Krieg prägen wieder Frauen die Aufräumarbeiten, vor allem auch, weil viele Männer umgekommen oder in Kriegsgefangenschaft sind. Sie machen aber im Gegensatz zur Nazi-Propaganda keinen Hehl daraus, wie hart diese Arbeit ist. Gut zu hören hier im Beitrag aus Berlin vom 21. Juni 1947. JETZT ANHÖREN
ZDF (2022): Ein Tag in Dresden 1946
Elli Göbel ist eine von über 500 Trümmerfrauen, die helfen, die zerbombte Stadt wieder aufzubauen. Die fiktive Biografie zeigt Schicksal und Lebenswirklichkeit. JETZT ANSEHEN
Und hier noch ein paar besondere Tipps für Geschichts-Interessierte:
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Alles Geschichte finden Sie auch in der ARD Audiothek:
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Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
MUSIK
ERZÄHLERIN
Sie holen mit bloßen Händen Steine aus den Trümmern, klopfen Mörtel von Ziegelsteinen, schichten Ziegelhaufen auf, schieben schwere, mit Trümmerschutt gefüllte Loren – Frauen, und zwar nur Frauen erscheinen auf Fotos der unmittelbaren Nachkriegszeit als die Heldinnen des Neuanfangs.
MUSIK
ERZÄHLER
Solche Fotos der Jahre 1945 und 46 sprechen Bände. Die deutschen Frauen, so suggerieren sie, packen an, sie beseitigen den Schutt, den der Krieg der Männer hinterlassen hat, sie ziehen den Karren aus dem Dreck. Die Frauen waren diejenigen, heißt es, die ganz allein und ohne professionelle Hilfe den Schutt wegräumten.
ZITATORIN
Die Trümmerfrauen sind zum Symbol für den Aufbauwillen und die Überlebenskraft der Deutschen in der Nachkriegszeit geworden. Ohne ihre Schwerstarbeit wären die deutschen Städte lange Zeit Schutthalden geblieben, ohne ihre unermüdliche Tätigkeit das Überleben der Familien nicht gesichert gewesen.
ERZÄHLER
So steht es auf der Internetplattform des Deutschen Historischen Museum Berlin. Über die Trümmerfrauen, so scheint es, gibt es wenig Dissens, sie gehören mittlerweile zum offiziellen Geschichtsbild. Von „Trümmermännern“ wird selten gesprochen. Es ist auch nicht von den Baufirmen die Rede, die Abriss und Wiederaufbau mit Hilfe professioneller, meist männlicher Bauarbeiter bewältigten. Unerwähnt bleiben ebenso die alliierten Besatzer, die mit schwerem Gerät, logistischer Unterstützung, Manpower und Unmengen von Material halfen. Nein, es waren die deutschen Frauen.
ERZÄHLERIN
Aber wer die Bilder der Ruinenstädte kennt, weiß, dass das nicht ausgereicht haben kann: Mehrstöckige Häuser mussten eingerissen werden, meterhohe Mauern waren zu stützen oder zu sprengen, enorme Schuttberge von Straßen und Plätzen zu räumen. Alles durch die deutschen Hausfrauen mit bloßen Händen?
ERZÄHLER
Grund genug also zu fragen: Gab es denn diese Trümmerfrauen überhaupt, die – zur Arbeit für geringen Stundenlohn dienstverpflichtet – öffentliche Straßen und Plätze von Trümmern und Schutt befreiten, diesen auf Loren luden und abtransportierten, alles im Dienste der Gemeinschaft? Eine Bestandaufnahme.
MUSIK
ERZÄHLERIN
Bei Kriegsende 1945 bestand die Bevölkerung in Deutschland überwiegend aus Frauen, Kindern und alten Menschen. Die Männer, die den Krieg überlebt hatten, kamen oft erst nach Jahren zurück. Die Frauen wurden daher notgedrungen zu Heldinnen des Alltags: Mit Improvisation, Hamstern, Geschick und Schwarzmarktkäufen hielten sie ihre Familien über Wasser.
ERZÄHLER
Der Zeitzeuge Christian Hallig beschreibt den Alltag dieser Frauen der Trümmerzeit in den letzten Kriegsjahren und nach Kriegsende:
ZITATOR
Hetzen nach Lebensmitteln auf Karten, stundenlanges Anstehen, um die mageren Rationen zu ergattern. Die Kinder versorgen. Tätig als Krankenschwester, als Wehrmachtshelferinnen, an den Flakbatterien oder in den Fabriken beim Granatendrehen. Und als Briefträgerinnen, Schaffnerinnen. Zu Hause immer die Feuerpatsche und den Eimer mit Wasser bereit, wenn die Bomben wieder einmal die Wohnung durchgeblasen haben. Krieg aus. Nun erst recht ran. Denn die Männer sind gefallen, vermisst oder noch in Gefangenschaft. … Stets ist der Tag zu kurz, er müsste zehn Stunden mehr haben, um das zu schaffen und zu organisieren, was das Überleben ermöglicht.
ERZÄHLERIN
Aus Hunger wurde bei Kriegsende auch geplündert. Die Münchnerin Else Rau, Jahrgang 1910, berichtete im Gespräch mit der Autorin Carlamaria Heim von der großen Plünderung der Wehrmachtsbestände im Münchner Bürgerbräukeller unmittelbar vor dem Einmarsch der Amerikaner am 30. April 1945. Die hungrigen Frauen und Männer schleppten heim, was sie tragen konnten. Else Rau war mit ihrer Mutter zusammen aufgebrochen, um auch etwas zu erwischen und kam mit einer schweren Kiste wieder aus dem Lagerkeller nach oben:
O-TON Else Rau
Komm i rauf – Nacht. Na war neba mir a Frau, na hat’s g‘sagt: ‚Hab‘m Sie wos dawischt?‘ ‚Ja‘, hob i gsagt, ‚aber glaub’n‘s, i glaub i muas lieg‘n lass‘n, i kann‘s nimmer hoamtrag’n. Und mei Mama had ma an der Stimm erkannt. ‚Els, Els,‘ hat’s g’sagt, ‚kumm her!‘ Na hamma de Kistn aufn Schlittn nauf und hamma’s hoamg’fahr’n. Na samma hoam. Na hamma de Kistn aufg‘stemmt. Dann war‘n da Fleischdos‘n drina. I konn Eahna sag’n: Also mei Mamma hat direkt zerst a Gsetzl g‘woant vor lauta Freid, glaub‘m‘s des? Also i hab‘s gar net fass‘n kenna. Und mir hab‘m an Kater doch g‘habt, gell, der hat doch a so an Kohldampf g‘habt. De erste Dos‘n de ma aufgmacht hab‘m, den ersten Bissen hat d’Katz kriagt.
ERZÄHLERIN
Einen Tag später ergatterten die Münchenerinnen und Münchner auch noch Wein. Else Rau:
O-TON Else Rau
Mir san nüber. Dawei san die Leut bis zu de Wadl im Wein gewatet. Wissen‘s, des war die – i versteh’s vielleicht scho – die Gier, und an Hahn, an Zapfhahn ham‘s net g’habt, da ham’s de Spund eintret’n, da ist der Wein rausg’laufa. Na hat d‘Mama zwoa Putzkiebi voll Wein und an Suppenhafa a voll a no hoamg‘schleppt, gell, oiso na hamma a no an Wein g‘habt, Da drin san lauter so kloane Garterln gwesen. Und de oiden Leit – mei, de jungan, de warn ja meistens gar net da - und de hab‘m nachat a eanan Wein g‘habt und hab‘m dann g‘sunga und war‘n fröhlich, gell – wissen S‘, des war – de hab‘m so richtig an, i mecht fast sag‘n, ned as Kriegsende, sondern mehr oder wenicher an Sieg g’feiert – mecht i fast sag‘n. Des war für uns boid a Sieg. Weil ma was z‘Essn g‘habt ham.
MUSIK
ERZÄHLER
Der Krieg war zu Ende, doch nun standen die Deutschen vor der gigantischen Aufgabe, die Trümmer zu beseitigen. Antonie Rasch aus Haunstetten bei Augsburg in einem Interview:
ZITATORIN
Ein schauerliches Bild bot sich uns, als wir wieder in unsere Straße kamen. Unser Haus war schwer von Brandbomben getroffen. Nur noch die Grundmauern standen, außerdem noch die beiden Kamine und die fielen nach einem schweren Gewitter in sich zusammen. Das Haus war völlig unbewohnbar. … Dem Wiederaufbau des Elternhauses galt unser ganzer Ehrgeiz. Als mein Bruder am 22. Juli 1945 aus der amerikanischen Gefangenschaft nach Augsburg kam, haben wir beide sofort beschlossen: „So, jetzt bauen wir das Haus wieder auf.“… Zuerst mussten wir Unmassen von Schutt aus dem Trümmerhaufen räumen…. Meine Aufgabe war es, die noch brauchbaren Ziegelsteine mit einem Hammer vom Mörtel zu befreien. Die Steine mussten picobello sauber sein, sonst hielt der neue Mörtel nicht an den Ziegeln und die ganze Arbeit war umsonst. Ich weiß nicht mehr, wie lange ich Steine klopfte, in meiner Erinnerung kommt mir die Zeit wie eine Ewigkeit vor. Es war eine Sträflingsarbeit. Ich weiß noch gut, einmal habe ich mit einem Helfer um