Gericht mit Hoffnung
Description
1. Luthers Zurückhaltung und der Zugang zum Text
Martin Luther schrieb in seiner Vorrede zum Propheten Sacharja (in der Lutherbibel, erstmals 1528 erschienen) über unseren Text Folgendes: „Dies Kapitel kann ich nicht verstehen und bin ihm nicht gewachsen; und ich bin nicht sicher, was der Prophet meint.“
Wenn der Reformator und Bibelausleger hier so viel Unschlüssigkeit zugibt, ist es auch für mich sinnvoll, bei der Auslegung zurückhaltend zu sein. Gegenteilig habe ich sogar beobachtet, dass viele Auslegungen, die aus solchen Texten Endzeitpläne entwickelt haben, samt und sonders von der Geschichte überholt wurden: Die Dinge haben sich anders oder gar nicht erfüllt, als gedacht. Deshalb ist für mich der sicherste Weg, sich zu fragen, was die Erstempfänger damals unter diesen Aussagen verstanden haben und was Sie und ich heute über Gott und sein Handeln lernen können.
2. Bekannte prophetische Motive
Zunächst fällt auf, dass der Text vollgepackt ist mit Begriffen und Themen, die auch sonst in den Prophetenbüchern des Alten Testaments vorkommen und den Hörern aus den Lesungen in den Synagogen bereits bekannt waren. Der „Tag des Herrn“ ist ein Fachbegriff für Gottes Gericht über die Völker. Die Belagerung und Eroberung Jerusalems durch seine Feinde, Gottes Eingreifen und Kampf für sein Volk, die Erhöhung Jerusalems als heiliger Ort und als Endergebnis Gottes universale Königsherrschaft sind bekannte Motive bei Jesaja, Amos, Hesekiel und anderen Propheten.
Schließlich wird auch das „lebendige Wasser“ in unserem Text erwähnt. Am ausführlichsten begegnet uns diese Beschreibung im Buch Hesekiel. Das lebendige Wasser ist Zeichen für Leben in der Wüste und für ewiges Leben, das sich über die gesamte Schöpfung erstreckt. Hier beginnt etwas wahrhaft Neues.
Dabei erinnert der Autor auch an ein Erdbeben aus den Tagen Usijas, das zwei Jahrhunderte zuvor stattfand. Die Flucht vor dem Erdbeben hat sich tief in das Gedächtnis des Volkes eingegraben. Dies ist für die Zuhörer ein Hinweis auf das endgültige und kraftvolle Handeln Gottes.
3. Gottes Eingreifen und das Gericht
Die Feinde Gottes werden als Instrument für sein Gericht beschrieben. Es scheint fast so, als würde es genügen, gottlosen Menschen zu erlauben, ihren eigenen Willen umzusetzen. Dies ist Strafe genug. Das muss beängstigend gewesen sein für die damaligen Israeliten. Schließlich kommt Gott aber doch als Retter zu Israel. Er rettet das übrige Volk. Der Begriff des „Überrests“ erscheint mehrmals in der prophetischen Literatur und beschreibt den Teil Israels, der nicht fremde Götter angebetet hat, sondern dem Gott Israels die Treue hielt.
Als Teil der Rettung spaltet Gott den Ölberg, um so einen Ausweg und ein Versteck für sein Volk zu schaffen. Jedem Israeliten werden hier die Geschichten des Auszugs aus Ägypten und der Teilung des Roten Meeres als Rettung Gottes einfallen.
Aus heutiger Sicht ist bemerkenswert, dass Gottes Gericht sein Volk Israel nicht ausspart, sondern mit ihm beginnt. Es gibt bei Gott also kein Ansehen der Person.
Das Gericht wird hier nicht als Vergeltungsmaßnahme Gottes beschrieben, sondern als notwendige Vorstufe der Wiederherstellung der Schöpfung in ihren paradiesischen Zustand. Da das Böse freiwillig von Menschen begangen wurde und sie frühere prophetische Warnungen ignorierten, haben sie ihren eigenen Weg gewählt. Dieser Weg führte in eine Zukunft ohne Gott, ohne seine Gebote und ohne die Zukunft, die er für sein Volk und alle Menschen dieser Erde vorbereitet hat.
Das Leid in dieser Welt kommt zum Teil daher, dass Gott bösen Menschen ihren Willen lässt. Umgekehrt kann eine heile Welt ohne Leid und Übel nicht mit solchen Menschen existieren. Das Gerichtshandeln Gottes ist notwendig, um das Leid, das diese Menschen über andere bringen, zu beenden und eine neue heile Welt zu schaffen.
4. Orientierung für Israel – und für Christen
Gott redet hier zu seinem Volk in seiner zeitlichen Dimension und gibt der damaligen Generation eine geistliche Orientierung. Gott sagt ihnen, worauf sie hoffen dürfen, wem sie die Treue halten sollen und welcher Weg sich am Ende lohnen wird. Gott tut dies mit Bildern aus dem Erfahrungshorizont der damaligen Hörer. Das endgültige Weltgericht ist als solches noch nicht eingetreten – das ist uns heute klar. Und trotzdem war diese Botschaft für die Generation damals wie für jede Generation eine Orientierung für ihr eigenes Leben. Dass sich solch eine Botschaft nicht sofort oder in einem einzelnen Ereignis erfüllt, ist ein Merkmal endzeitlicher Rede. Das kenne ich von anderen Prophetien. Die Lektion für die Hörer ist aber klar und in Anbetracht der endzeitlichen Ereignisse auch wichtig und glaubhaft. Der Text gibt den Hörern also den größeren theologischen Zusammenhang mit, um das Gewicht der Aufforderung und Ermutigung zu stärken.
Für uns als Christen, die aus dem Neuen Testament schöpfen, finde ich bemerkenswert, dass kosmische Ereignisse wie das Erdbeben und die Sonnenfinsternis bei der Kreuzigung Jesu beschrieben werden. Hier hat Gott prophetische Beschreibungen zur Erfüllung gebracht, um sichtbar zu machen, dass hier das Gericht stattfindet. Hier wird Sünde vernichtet, Schuld weggetan und ein neues, befreites Leben geschenkt. Damit ist angezeigt, dass wir als Christen bei den düstersten Prophezeiungen der Bibel eine feste Orientierung haben: Jesus Christus hat am Kreuz auf Golgatha die Folgen menschlicher Sünde getragen und aufgelöst. Er hat das Weltgericht für die, die an ihn glauben, vorweggenommen. Gott hat die Schuld auf seinen Sohn Jesus gelegt und dies durch die Sonnenfinsternis und das Erdbeben sichtbar gemacht.
Johannes 5,24: „Wer mein Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, der hat das ewige Leben und kommt nicht in das Gericht, sondern er ist vom Tode zum Leben hindurchgedrungen.“
Dazu passt auch, dass Jesus selbst das Bild des lebendigen Wassers im Gespräch mit der Frau in Samaria am Brunnen genutzt hat. Er sagte, dass er es ist, der lebendiges Wasser geben kann, das ewiges Leben schenkt. Jesus erfüllt auch hier die Vorhersage Sacharjas.
Welch ein Privileg, dass wir als Christen einige dieser endzeitlichen Geschenke jetzt schon annehmen und genießen können.
Autor: Eduard Friesen
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