Nueva Germania - Das gescheiterte „Arier-Experiment“ im Urwald
Description
Eine Zuflucht für die "arische Rasse": Das sollte Nueva Germania sein, als deutsche Auswanderer den Ort 1886 in Paraguay gründen. Das Projekt scheitert nach wenigen Jahren. Doch der Ort existiert bis heute.
Credits
Autor dieser Folge: Sebastian Kirschner
Regie: Anja Scheifinger
Es sprachen: Stefan Merki, Christopher Mann, Rahel Comtesse, Hemma Michel
Technik: Ursula Kirstein
Redaktion: Thomas Morawetz
Im Interview:
Prof. Dr. Natascha Mehler, Archäologin (Universität Tübingen);
Attila Dészi, Archäologe (Universität Tübingen);
Klaus Neumann, geboren und aufgewachsen in Nueva Germania;
Dr. Daniela Kraus, Historikerin und Journalistin (Wien);
Ruth Alison Benitez, Cheftechnikerin der Abteilung für Archäologie des Nationalen Kultursekretariats in Paraguay
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Literaturtipps:
Ben Macintyre: „Vergessenes Vaterland. Auf den Spuren der Elisabeth Nietzsche“. Reclam Leipzig 1994.
Daniela Kraus: „Bernhard und Elisabeth Försters Nueva Germania in Paraguay. Eine antisemitische Utopie“. Doktorarbeit. Universität Wien, 1999.
Julius Klingbeil: „Enthüllungen über die Dr. Bernhard Förster'sche Ansiedelung Neu-Germanien in Paraguay“. Leipzig 1889 (antiquarisch).
Elisabeth Förster-Nietzsche: „Dr. Bernhard Försters Kolonie Neu-Germania in Paraguay“. Berlin 1891 (antiquarisch).
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Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
ATMO Plaza früh
SPRECHER
Ein abgelegener Ort in den Weiten Südamerikas. Es ist nur wenig los auf den Straßen. Vereinzelt ziehen Rinder über die Wege, rot leuchtet der sandige Boden. Schon um neun Uhr morgens brennt die Sonne vom Himmel über Paraguay. Ein Tag wie jeder andere für Don Alfonso – wäre da nicht die Ausgrabung auf seinem Grundstück. Kritisch blickt er jeden Tag hinüber zu den Archäologen. Die Forscher wissen, er will das Ganze endlich hinter sich haben. Es geht ihm nicht nur um sein Gemüse, das dort wächst. Es ist die Vergangenheit, die dem Ort mit dem eigentümlichen Namen zu schaffen macht: Nueva Germania [sprich: Nueva Chermania]. Seine Bewohner wollen nicht länger als Nazis gelten, nur weil etliche von ihnen deutsche Vorfahren haben. Der 72-jährige Klaus Neumann etwa.
ZUSP_01
Uns, die hier geboren sind, von deutscher Abstammung, es wird uns immer wieder gefragt über Nazis. Ich habe als Kind nie, nie eine Hakenkreuzfahne gesehen. Ich glaube, ich bin nicht der einzige aus Nueva Germania. Meiner Ansicht nach ist es gewissermaßen ungerecht.
SPRECHER
Einst gedacht als Zuflucht für eine sogenannte Arische Rasse, hat Nueva Germania den Menschen dort den Ruf von Urwaldgermanen eingebracht. Verschlägt es Besucher hierher, dann oft genau deshalb. Und auch weil es irgendwie kurios ist, so abgelegen auf deutsche Sprache zu stoßen, in einem Land, wo sonst ohne Spanisch rein gar nichts geht. Und nun sind auch noch Archäologen da und spüren dieser Vergangenheit nach.
TRENNER (ab hier Musik düster)
SPRECHER
Nueva Germania 1886, also lange bevor es in Deutschland Nationalsozialisten gab: In diesem Jahr gründet Bernhard Förster die sehr spezielle Siedlung gründet. Zusammen mit seiner Frau Elisabeth Förster-Nietzsche, der Schwester von Philosoph Friedrich Nietzsche. In einer zeitgenössischen Werbeschrift lässt das Ehepaar wissen:
ZITATOR 1
Wir werden eine arische Herrenrasse züchten, hier in den Wäldern Südamerikas. Unser Neu-Germanien wird ewig dauern.
SPRECHER
Schon drei Jahre zuvor hat der glühende Antisemit Förster dafür Paraguay erkundet. Dass er nach einer passenden Gegend für ihre Pläne sucht, hatte man sogar in England registriert. Im Februar 1883 heißt es in der Zeitung „The Times“:
ZITATOR 1
Herr Doktor Förster, einer der Anführer der antisemitischen Bewegung in Deutschland, schüttelte den Staub eines undankbaren Landes von seinen Füßen und verließ mit einer kleinen, aber ergebenen Gruppe von Anhängern Berlin, um sich nach Paraguay einzuschiffen, wo sie ein „neues Deutschland“ gründen wollen, unbeschmutzt von irgendwelchen Nachkommen Abrahams.
SPRECHER
Die österreichische Historikerin und Journalistin Daniela Kraus hat sich intensiv mit Nueva Germania und ihren Gründern beschäftigt. Die Wurzeln für Försters krude Ideen sieht sie in seiner Biographie:
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Bernhard Förster war ein Gymnasiallehrer, der sich zunehmend radikalisiert hat und hat handgreifliche Streitigkeiten angefangen auch gegen jüdische Mitbürger, was dazu geführt hat, dass er seinen Schuldienst quittieren musste. Das heißt, der war ein bisschen eine gescheiterte Existenz.
SPRECHER
Gleichzeitig kennt und verehrt Förster den Komponisten Richard Wagner – und lernt so auch seine spätere Frau Elisabeth Nietzsche kennen. Die war über ihren innig geliebten Bruder Friedrich, einen engen Freund des Komponisten, in den Kreis der Wagners gerückt:
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Elisabeth führte ihrem Bruder den Haushalt und ging mit ihm mit, hat den Wagners in Bayreuth eine Zeit lang den Haushalt geführt und hat damit einen gewissen gesellschaftlichen Aufstieg durchgemacht. Und dann begegnet sie diesem ein bisschen versponnenen Bernhard Förster, der mit seinen Ideen und seinen Idealen ihr offensichtlich gefallen hat.
SPRECHER
Ideen, die sich auch aus antisemitischen Gedanken von Wagner speisen. Etwa, dass man das reine Deutschland eigentlich nur irgendwo im Urwald wieder herstellen könne. Förster nimmt das wörtlich: Er und seine Frau locken mit der Aussicht auf paradiesische Zustände in Paraguay. In den Bayreuther Blättern schreibt Elisabeth:
ZITATORIN
Dann sitzen wir im Garten; vor dem Haus und blicken ins Weite. Wiesen von der Abendsonne röthlich vergoldet an beiden Seiten des Flüsschen, von brüllenden Rinderheerden durchzogen, welche zögernd der Viehhürde zuschreiten. Welch friedliches, glückliches Bild bietet das Ganze dar, nichts Fremdartiges, nein, alles deutsch und heimathlich!
SPRECHER
Diese Aussichten fallen in Deutschland auf fruchtbaren Boden.
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Es gab 1873 den Börsenkrach, es gab Leute, die insgesamt mit der politischen und sozialen Situation unzufrieden waren. Leute, die verarmt waren, die keine ökonomischen Perspektiven in Deutschland sahen und die sich dazu verleiten ließen, Scharlatanen zu glauben, die ihnen dann ein besseres Leben andernorts versprachen.
SPRECHER
Dass das ausgerechnet in Paraguay warten sollte, hatte seinen Grund. Das Land hatte gerade sechs Jahre blutige Kämpfe gegen seine Nachbarn Argentinien, Brasilien und Uruguay hinter sich und stand vor einem Desaster. Paraguay hatte den sogenannten Triple-Allianz-Krieg verloren, und im Zuge dessen mehr als die Hälfte seiner Bevölkerung.
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Danach war die Idee, man braucht wieder Leute, man braucht Einwanderer. Deswegen hat Paraguay sehr stark gefördert, die Einwanderung einerseits durch Anwerbungen in Europa und sehr stark auch in Deutschland. und andererseits auch durch den Verkauf von günstigem Land und verschiedene steuerliche Begünstigungen.
SPRECHER
Die Werbung wirkt. Auch deshalb können die Försters schließlich rund 200 deutsche Auswanderer für ihre antisemitischen Kolonialträume mobilisieren.
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Das waren schon Leute, die diese Ideologie zumindest sympathisch fanden, die auch Aussteiger waren, die Arbeiter waren und Arbeitsplätze verloren haben durch die Industrialisierung. Und die gesagt haben, wir müssen ein neues Leben führen, dass man zurück zum Ursprung muss. Dieser Ursprung impliziert eine völkische Reinheit. Diese Mischung dürfte auf manche Leute sehr attraktiv gewirkt haben.
SPRECHER
Das Problem: Keiner von ihnen kennt sich damit aus, eine solche Kolonie aufzubauen. Kaum einer versteht etwas von Landwirtschaft. Schnell holt die Kolonisten die Realität ein. Ihr neues Zuhause Nueva Germania entpuppt sich als ein von tropischen Krankheiten und Hunger geplagtes Dorf, beschwerliche acht Tagesreisen mit dem Boot flussaufwärts von Asuncion, der Hauptstadt von Paraguay.
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Dort war im Prinzip Urwald. Das heißt, die mussten dort wirklich das Land urbar machen, die ganze Infrastruktur herstellen. Es war das Klima nicht gut. Es waren wahnsinnig viele Moskitos. Es gab Sandflöhe, es gab Ungeziefer, das die Ernten zerstört hat. Es gab nicht ausreichend sauberes Trinkwasser. Das heißt, die Leute wurden relativ schnell krank. Es war wahnsinnig schwierig.
SPRECHER
Den Försters fällt es zunehmend schwerer, die desaströsen Zustände in Nueva Germania zu verheimlichen – vor neuen Interessenten und ebenso vor Geldgebern. Einer ihrer lautesten Kritiker ist Julius Klingbeil, der 1888 selbst als Auswanderer nach Nueva Germania gekommen ist. Ein Jahr später macht er seinem Ärger über die Zustände vor Ort Luft. Er veröffentlicht ein Buch, das andere warnen soll:
ZITATOR 1
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