Auf der Jagd - Die Lust am Beute machen
Description
Tiere zu jagen ist spannend. Jemanden zu verfolgen, kann Spaß machen - vor allem, wenn man auf Seite der "Guten" steht, die gegen das "Böse" vorgehen. Justina Schreiber ist der menschlichen Lust am Beute machen auf der Spur.
Credits
Autor/in dieser Folge: Justina Schreiber
Regie: Irene Schuck
Es sprachen: Beate Himmelstoß
Technik: Susi Harasim
Redaktion: Susanne Poelchau
Im Interview:
- Prof. Dr. Hans-Ludwig Kröber, Psychiater und Forensiker, Dr. Nina Krüger, Biologin und Jägerin, Angela Mauss-Hanke, Psychoanalytikerin
Diese hörenswerten Folgen von Radiowissen könnten Sie auch interessieren:
Wie wir ticken - Euer Psychologie Podcast
Wie gewinne ich die Kraft der Zuversicht? Warum ist es gesund, dankbar zu sein? Der neue Psychologie Podcast von SWR2 Wissen und Bayern 2 Radiowissen gibt Euch Antworten. Wissenschaftlich fundiert und lebensnach nimmt Euch "Wie wir ticken" mit in die Welt der Psychologie. Konstruktiv und auf den Punkt. Immer mittwochs, exklusiv in der ARD Audiothek und freitags überall, wo ihr sonst eure Podcasts hört.
Wie wir ticken – Euer Psychologie Podcast
Linktipps:
Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.
Radiowissen finden Sie auch in der ARD Audiothek:
ARD Audiothek | Radiowissen
JETZT ENTDECKEN
Das vollständige Manuskript gibt es HIER.
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
SPRECHERIN:
Es passierte auf einer Parforcejagd. So erzählt es die Legende. Dem römischen Befehlshaber Placidus stellte sich ein Hirsch entgegen anstatt zu fliehen. Er trug ein Kruzifix in seinem Geweih. Vor Schreck fiel Placidus, der Heide, vom Pferd. Er hörte die Stimme Christi fragen: Warum verfolgst du mich? Ja, warum jagte er ihn?
SPRECHERIN:
Mythen, Märchen und auch Träume erzählen vom Jagen und Fliehen. Etwas oder jemand erreichen oder zu fassen kriegen zu wollen, sich verstecken und wieder aufgespürt werden, einen Menschen oder ein Tier stellen. Erliegen.
MUSIK aus
O-TON 01: (Hans-Ludwig Kröber)
„Das sind alles Dinge, die unsere Vorstellungswelt, unsere Angstwelt, das, was im Leben gefährlich werden kann, betrifft. Und natürlich sind wir lieber auf Seite der Verfolger als der Verfolgten.“
SPRECHERIN:
Hans-Ludwig Kröber ist Forensiker. Er hat viele Straftäter psychiatrisch begutachtet und eine Zeitlang mit der Kriminalpolizei Täterprofile entwickelt. Bei diesen „operativen Fallanalysen“ bemerkte er immer wieder:
O-TON 02: (Hans-Ludwig Kröber)
„Dass es Spaß macht, wenn es gelingt, das Suchfeld zu verengen und die verfolgte Person in den Fokus zu bekommen und schließlich so einengen zu können und dann auch Maßnahmen zu ersinnen, wie man ihr näherkommen kann oder wie man sie dazu bringen kann, Fehler zu machen und sich zu verraten und Material zu liefern, das ist eine ausgesprochen reizvolle Angelegenheit.“
MUSIK
SPRECHERIN:
Jagen macht Spaß. Ganz klar, erklärt auch die Jägerin Nina Krüger. Die waidgerechte Jagd auf Wild verlangt viel Wissen und Geschick und involviert sie in eine spannende Handlungskette, die sie selbst in Gang setzt.
O-TON 03: (Nina Krüger)
„Habe ich ein Stück Wild in Anblick, muss ich entscheiden, ist es das Richtige, welches Geschlecht hat es, befindet sich das in der Altersklasse, die ich bejagen möchte, kann ich einen sicheren Schuss abgeben? Wenn ja, steht das Wild richtig, kann ich ihm einen möglichst schnellen, schmerzlosen Tod ermöglichen? Diese Entscheidungen muss ich alle treffen.“
SPRECHERIN:
Es ist kein Spiel. Es geht um viel. Es geht um einen Abschuss. Um Leben oder Tod eines Tieres. Und trotzdem wagt Nina Krüger zu sagen: zu jagen ist ihre „Passion“, ihre Leidenschaft, eine Lust.
MUSIK aus
O-TON 04: (Nina Krüger)
„Das ist mit Sicherheit ein Tabu, zumindest von Jägern wird das ungern besprochen, weil wir ja eine große Debatte über die Rechtmäßigkeit der Jagd heutzutage haben.“
SPRECHERIN:
Doch die Jagd muss sein. Jäger betonen heute vor allem den Nutzen, den die Kontrolle des Wildbestandes für den Wald mit sich bringt - um sich gegenüber Tierschützern keine Blöße zu geben.
O-TON 05: (Nina Krüger)
„Es gilt sehr als verpönt an der Jagd selber Lust zu empfinden. Dass jetzt wirklich jemand an dem Akt des Tötens Lust empfindet, das ist mit Sicherheit eher ein Ausnahmefall, aber das Reden darüber ist auch schon eher schwierig.“
MUSIK
SPRECHERIN:
Nina Krüger hat Biologie studiert. Sie hält die Lust am Jagen für eine Art Ur-Trieb, der unsere Urahnen vor 300.000 Jahren dazu anstachelte, sich andere Lebensmittel als immer nur Beeren oder Pilze zu beschaffen. Seither hat sich die menschliche Gattung beachtlich weiterentwickelt. Eben, weil sie jagte. Mit der eiweißhaltigeren Kost vergrößerte sich das Gehirn. Das gemeinsame Vorgehen zu planen und Werkzeuge oder Waffen zu bauen, verlangte Intelligenz und Ausdrucksvermögen.
O-TON 06: (Nina Krüger)
„Die ganze Jagd, wie sie zu der Zeit stattgefunden hat, hat nur funktioniert, weil der Mensch so gut kommunizieren kann. Ist die Frage, hat er kommunizieren gelernt, weil er jagen musste oder weil er besser jagen wollte oder konnte er vorher kommunizieren. Es ist mit Sicherheit ein so eng miteinander verknüpfter Entwicklungsprozess, dass es nur noch schwer herauszufinden ist, was da am Anfang da war. Aber wir wären einfach nicht so geworden, hätten wir auch nicht das Bedürfnis gehabt, uns weiterzuentwickeln, also hätte es diese Anforderung gar nicht gegeben.“
SPRECHERIN:
Die Jagd war von Anfang an mehr als eine reine Nahrungsbeschaffungs-maßnahme oder der Versuch, sich gefährlicher Tiere oder Gegner zu entledigen. Wie die ersten Höhlenmalereien belegen, gab die Jagd den Anstoß für die kulturelle Entwicklung des Menschen, die ihm zu seiner überlegenen Sonderrolle im Reich der Natur verhalf. Wozu übrigens auch gehört, dass wir Tiere hegen, schützen, achten und sogar lieben. Trotzdem: Die Jagd mit Speeren und anderen Waffen etablierte ein klar hierarchisches Gefälle, meint die Psychoanalytikerin Angela (= Andschela) Mauss-Hanke.
MUSIK aus
O-TON 07: (Angela Mauss-Hanke)
„Wenn das Tier mich als Jäger bemerkt, dann flieht es ja. Das heißt, ich muss mich verstecken, ich muss mich unsichtbar machen und ich muss immer aus dem Versteck heraus schießen. Da ist der eine vollkommen in der Position der Macht und der andere wird in kompletter Unwissenheit eben erlegt.“
SPRECHERIN:
Das Wild kann sich nicht wehren oder um Schonung bitten. Anders in der Legende. Der Römer Placidus, dem Gottes Sohn in Hirschgestalt erschien, wandelte daraufhin seine Gesinnung. Er ließ sich auf den Namen Eustachius taufen und erlitt – als Christ nun selbst verfolgt - den Märtyrertod. Ja, so schnell kann aus einem Jäger die Beute werden!
MUSIK
Eine Botschaft, die heutzutage Fernseh-Krimis verbreiten. Sie laden Abend für Abend zur fiktiven Jagd auf Menschen ein.
O-TON 08: (Hans-Ludwig Kröber)
„Und die moralische Rechtfertigung liefert man gleich in den Anfangsbildern, wenn die Leiche da liegt und die Kriminalbeamten sich über die Leiche beugen und sich nach den ersten Befunden erkundigen. Und ab dann darf der Zuschauer mitfiebern und weiß sich von vornherein auf der moralisch richtigen Seite und am Schluss wird dann auch der Täter toitoitoi jedenfalls nach dem klassischen Muster zur Strecke gebracht…“