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Die Befreiung vom Korsett - Frische Luft und neue Zwänge

Die Befreiung vom Korsett - Frische Luft und neue Zwänge

Update: 2025-09-084
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Das Korsett sorgte Jahrhunderte lang dafür, dass der Oberkörper zeitgemäß in Form gebracht wurde. Das ist lange her - doch trotzdem scheint das Korsett auch heute nicht ganz verschwunden. Wie befreit sind unsere Körper wirklich? Von Caro Matzko


Credits
Autorin dieser Folge: Caro Matzko
Regie: Susi Weichselbaumer
Es sprachen: Dorothea Anzinger, Katja Schild, Sven Hussock, Susi Weichselbaumer, Jerzy May
Redaktion: Iska Schreglmann


Im Interview:
MAG. KERSTIN JESSE, LEOPOLDMUSEUM WIEN
DR. MELANIE HALLER, AMD AKADEMIE MODE&DESIGN HAMBURG



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Literaturtipps:


Sandra Lembke, „Scheuersand und Schnürkorsett. Wie Frauen lebten und litten: eine kleine Kulturgeschichte über Mode, Kochen, Körperpflege und Haushalt von 1850 – 1918“



Margret Greiner, „Auf Freiheit zugeschnitten. Emilie Flöge: Modeschöpferin und Gefährtin Gustav Klimts“, btb Verlag


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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.


Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:


SPRECHERIN 2 



„Fester, fester“


ZSP 1 Atmo Korsett binden -  darüber


SPRECHERIN


Als Kaiserin Elisabeth von Österreich noch lebte, also Mitte des 19. Jahrhunderts, galt das Wiener Hofzeremoniell, das sich an der gestrengen spanischen Tradition orientierte. Kaiserin Sisi soll es zeitlebens als goldenen Käfig erlebt haben – auch weil sie sich durch ihre rein repräsentative Aufgabe als schillernde Schönheit an der Seite ihres Franz Josef sehr eingeengt gefühlt haben soll. 


SPRECHER


Wie sieht sie aus, was hat sie an, mit wem hat sie eine Affäre und ist sie dicker und älter geworden? 


SPRECHERIN 


So tratschte das Volk und klatschte die Presse. Die Kaiserin hungerte zeitlebens und turnte wie besessen, um ihr Gewicht auf gerade mal 45 Kilo zu halten. Mehr durfte sie nicht wiegen, damit sie sich die Taille jeden Tag von ihren Zofen mit einem Korsett auf 48 cm Umfang schnüren lassen konnte. 


SPRECHERIN 2:  


Fester! Fester!


SPRECHER


Das Korsett und das Ideal der Wespentaille hat die europäische Modegeschichte Jahrhunderte lang bis zum Beginn des ersten Weltkriegs geprägt, sagt Dr. Melanie Haller, Soziologin und Dozentin an der Akademie für Mode und Design in Hamburg. 


MUSIK Animals in nap  0.58 min.


SPRECHER


Und wie das gestrenge Hofzeremoniell beginnt auch die Karriere dieses Kleidungsstückes in Spanien. 


ZSP 2 Dr. Melanie Haller -  Die ersten Korsette


„Also die ersten Korsette gibt es mit der sogenannten spanischen Mode im 15. Jahrhundert als Kleidungsstück, das den Körper einzwängt. Wobei es die nicht nur für Frauen gab, sondern die gab es auch für Männer. Im 15. Jahrhundert waren es Bleiplatten, die den Busen plattdrücken, weil das Ideal der Zeit eine konische Körperfigur ist. Das heißt auch die Männerbrust wurde niedergedrückt, damit dieser Idealkörpertypus entsteht.“


SPRECHER


Das Korsett markiert die Entdeckung der Dreidimensionalität des Körpers: Waren im Mittelalter die Schnitte der Kleidung noch gar nicht an den Körper angepasst, fand man im Spanien des 15. Jahrhunderts große Freude an der Modellierung des Körpers mit Hilfe der Kleidung. 


ZSP 3 Haller -  Modellierung des Körpers


„…weil mit der Schnittkonstruktion es plötzlich möglich war den Arm zu isolieren, die Brust hervorzuheben oder zu negieren, wie in der spanischen Mode oder wir im Rokoko die Büste hervorzuheben und die Taille einzudrücken. Das heißt wir haben historisch gesehen unfassbar viele unterschiedliche Formen von Korsetten. Das ist nie das eine gleich oder ganz unterschiedliche Formen.“ 


MUSIK Animals playing catch  0.57 min.


SPRECHER


Bis Anfang des 20. Jahrhunderts stützt, formt oder zwängt das Korsett -  auch Mieder oder Schnürbrust genannt - den Körper und verleiht ihm Haltung und Würde: mit Walfischbein, indischem Büffelhorn oder Stahlfedern verstärkt war es ein wichtiges Kleidungsstück für Adelige beiderlei Geschlechts. Denn auch Männer trugen im Biedermeier zuweilen ein Korsett - häufig im Militär, damit die Uniform wie angegossen saß und sie so Breitschultrigkeit und Autorität verkörperten. Mit der Industrialisierung wurde das Ideal dann durch den Typus „Geschäftsmann“ – heute würde man Dandy sagen -  abgelöst. Mit einem Schnürgürtel banden die Herren ihren Bauch auf Taille und ließen die Schultern schmal hängen. 


Dieses neue Körperideal sollte zeigen: Ich bin so erfolgreich, dass ich für mein Geld nicht körperlich arbeiten muss.  


SPRECHERIN


Die Modegeschichtsschreibung hat nur leider einen Haken, findet Melanie Haller von der Akademie für Mode und Design Hamburg. Denn alles, was heute im Museum zu bewundern ist, sind hochwertige Stücke, die sich Adelige oder das gut betuchte Bürgertum leisten konnten. 


ZSP 4 Haller: Was trug der normale Mensch?


„Was wir hingegen wenig wissen, was hat die breite Bevölkerung getragen. Die breite Bevölkerung hat sich über Second Hand Kleidung bekleidet, über abgetragene Kleidung und da wird es dann schwierig, da wurden natürlich Korsette übernommen, weil sie aussortiert wurden von den oberen Schichten. Da ist die Forschung aber dünner als aber der Oberschichtskleidung, die in modehistorischen Büchern zu sehen ist, wo man sagt: 15 Jh hat man das getragen, im 16. das, im 17. Jahrhundert das… da kann man schon sagen, dass es unterschiedliche Arten und Weisen gab wie der Körper geformt wurde.“


MUSIK Mysterious animal play  1.50 min.


SPRECHERIN


Geschlechterformen wurden so stereotypisiert. Welche Form populär war, das prägten die zur jeweiligen Zeit tonangebenden Königshäuser. Im 15. Jahrhundert war das der spanische Hof mit der konischen Form, im 16. Jahrhundert der französische, der die Sanduhrsilhouette zelebriert, die lange en vogue bleibt - von Barock bis Rokoko.


ZSP 5    Haller -  Königshäuser als Stylereferenten


„…wo dann wirklich mit Marie Antoinette und solchen Figuren der Busen und die Taille betont wird in den Korsetten und das endet dann erst Anfang des 19. Jahrhundert mit dem Klassizismus wo dann die  Empirelinie kommt, aber auch die hatte Korsette allerdings, die waren nicht ganz so steif, die haben versucht den Busen ein bisschen zu betonen und der Rest ging grade nach unten. Das ändert sich mit dem Entstehen der Haute Couture also mit einer Produktionsweise mit deren Hilfe sich die oberen Schichten ganz klar abgrenzen wollten von der Masse. Man muss sich überlegen, dass im 19. Jahrhundert parallel dazu die Bekleidungsindustrie entstanden ist. Das heißt, es gab die Möglichkeit für viel mehr Menschen sich neue Kleidung zu kaufen.“


SPRECHER 


War das Korsett lange Zeit für die breite Bevölkerung noch ein teures Unterwäschestück, das den feinen Damen vorbehalten war, entstanden  Mitte des 19. Jahrhunderts in Europa viele Korsett-Webereien, durch die die Schnürmieder erschwinglicher wurden. 


MUSIK Der fröhliche Landmann  0.42 min.


SPRECHER


Nun mussten sich alle Mädchen ab dem 7. Lebensjahr unter ihren Kleidchen an eine Schnürung gewöhnen, die die Taille schmal halten sollte. An wildes Spiel oder gar Sport war nicht zu denken, doch Mädchen hatten damals vor allem eine Zierde zu sein, um schließlich gut verheiratet werden zu können.  


SPRECHERIN


Eine längere Schulbildung konnten sich nur die höheren Töchter erlauben: Die Backfische lernten Klavier spielen, tanzen und Handarbeiten. Bücher waren nur etwas für Männer, wenn Frau doch zu eigener Lektüre kam, dann um besser parlieren zu können und die Herren in den Salons gut zu unterhalten. 


SPRECHERIN


Das Vorbild in der Belle èpoque war die Pariser „sans ventre“ Linie: Sans heißt ohne und Ventre Bauch, der Name war Programm, so Melanie Haller. 


ZSP  6 Melanie Haller -  sans ventre Korsett


„Das Sans Ventre Korsett wie das der Begriff schon sagt, geht es darum den Bauch wegzudrücken und eine S-Linie herzustellen. Der Busen wird sehr hochgedrückt, die Taille eingeschnürt und hinten kommt ein großer Aufbau aus Stoffmassen drauf, das wurde durch die Tournüre erzeugt, eine Ar

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Caro Matzko