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Das Gipfelkreuz - Eine Geschichte von Aufstieg und Fall

Das Gipfelkreuz - Eine Geschichte von Aufstieg und Fall

Update: 2025-09-10
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Description

Auf rund 4000 Alpengipfeln steht heute ein Gipfelkreuz. Oft stecken in den paar Balken aus Holz oder Metall dramatische Geschichten. Obwohl viele dieser Gipfelzeichen für Frieden, Freundschaft und Versöhnung stehen, scheiden sich an ihnen die Geister. Um die Deutungshoheit ist ein harter Kulturkampf entbrannt. Von Rainer Firmbach (BR 2024)

Credits


Autor dieser Folge: Rainer Firmbach
Regie: Irene Schuck
Es sprachen: Katja Amberger, Christian Baumann, Andreas Neumann
Technik: Daniela Röder
Redaktion: Karin Becker



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Literaturtipps:


Walter Bonatti: Große Tage am Berg. Zürich, Rüschlikon, 1972.
Hans Joachim Löwer: Gipfelkreuze. Innsbruck, Athesia, 2019.



Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.

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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.


Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:


SPRECHER:


Wie eine Kathedrale thront das Gaishorn über dem Vilsalpsee. Die mächtige Felspyramide gehört - neben Hochvogel und Trettachspitze - 


zu den auffälligsten Berggestalten der Allgäuer Alpen. Auch bietet das Gaishorn dem rüstigen Gipfelstürmer eine phantastische Rundschau, nach allen Himmelsrichtungen. 


SPRECHERIN:


Von frühester Jugend an hat Edmund Abel das Gaishorn immer wieder bestiegen. Stundenlang, sagt der Mann aus Legau, kann er dort oben am Gipfel, in 2249 Metern Höhe, nur dasitzen und schauen. 


SPRECHER:


Abels Hauptaugenmerk gilt dabei dem imposanten Gipfelkreuz, mit seinem schmiedeeisernen Strahlenkranz. Aus gutem Grund. Zähe Legauer Naturburschen haben dieses neue Kreuz 2011 hier heraufgetragen, Seite an Seite mit Bergwachtlern aus dem Tannheimer Tal, als Ersatz für das alte Legauer Holzkreuz, das ein Wintersturm beschädigt hatte. 


Musik weg


SPRECHERIN:


Im Kreuz auf dem Gaishorn-Gipfel sieht Edmund Abel mehr als nur eine Selfie-Kulisse, für das zeittypische Gipfelfoto auf Social Media:


1. O-Ton: 


„Aufm Gipfel vom Gaishorn is es e bissle wie hoim komma. Es is a bissle die verlängerte Flur von Legau. Weil ja da dieses Gipfelkreuz von der Kolpingsfamilie und jetzt auch von der Bergrettung Tannheim steht. Und es is e schönes Gefühl, wenn man weiß, dass da schon vor 80 Jahren aus unserem Ort Menschen sich genau für diesen Gipfel begeistert ham. Und es is einfach a tolles Gefühl, wenn man da oben steht, und auch diesen Gedanken mittragen kann.“  


SPRECHER:


Die Liebe zu den Bergen, regionale Verbundenheit und Ehrfurcht vor dem tief in christlichen Glaubensvorstellungen verwurzelten Kreuzsymbol verbinden sich zu einem Narrativ, von dem sich auch heute noch eine große Zahl an Menschen angezogen fühlt - aufgeklärte Moderne hin oder her. 


SPRECHERIN:


Warum das so ist, erklärt sich Hans-Joachim Löwer, Autor des Buches: „Gipfelkreuze“, so: 


2.O-Ton: 


„In der Tat, Kirche ist „out“, aber Gipfelkreuze sind „in“, seltsamerweise. Es werden ja immer wieder neue aufgestellt. Sie sind Symbole des Christentums. Die meisten Erbauer, und die meisten Alpinisten, die vor den Kreuzen stehen, empfinden so ein Kreuz aber eher als ein Zeichen, dass diese Stelle etwas Besonderes ist. Wer am Gipfel steht, hat sich über die Niederungen erhoben. Das Kreuz, vor dem du da stehst, führt dir vor Augen: das hier ist ein ungewöhnlicher, herausragender, feierlicher Platz.“  


SPRECHER:


(( Löwer hat für seine vielstimmige Sammlung an Gipfelkreuzgeschichten akribisch recherchiert. Und gut 60.000 Höhenmeter zurückgelegt. Zu Fuß, mit Rucksack, Notizblock und Kamera. 


3.O-Ton: 


„Es hat bei mir ja ein halbes Jahrhundert gedauert, bis ich auf die Idee gekommen bin, über Gipfelkreuze zu schreiben. Vorher, bis dahin, habe ich, wie tausende andere Alpinisten auch, am Gipfelkreuz gesessen, meinen Rucksack ausgepackt, ne Flasche Wasser hergenommen und die Aussicht genossen. Und irgendwann, an einem Tag, das war ein ganz unscheinbarer Gipfel, in der Nähe von Garmisch-Partenkirchen, gleitet mein Blick über das Gipfelkreuz. Und die Frage schießt mir durch den Kopf: wieso steht das Kreuz eigentlich da? (( Wer hat das denn gebaut? Wer hat das denn erdacht? Wie ham die das denn hier hochgebracht? Und warum? )) Und meine Vermutung war: dass in diesen Kreuzen dramatische Geschichten stecken.“  ))


SPRECHERIN:


Auf rund viertausend Alpengipfeln steht heute ein Gipfelkreuz. Oder auch eine Madonna, wie in Italien und in Frankreich häufiger der Fall.  


Musik darüber


SPRECHER:


Viele von diesen Gipfelzeichen stehen für faszinierende, oft jahrhundertealte Geschichten.


SPRECHERIN:


Diese Geschichten erzählen von Päpsten, Bischöfen und Priestern, die gegen den „Ungeist der Welt“ zu Felde zogen, indem sie Bergspitzen mit Kreuzen „besetzen“ ließen. Oder von eigenwilligen Künstlern, die Berggipfel zu einer Spielwiese für ihre extravaganten Ideen machten. 


SPRECHER:


Sie handeln von gottesfürchtigen Bergbauern, und ihrem - von alten, heidnischen Vorstellungen mitgeprägten - Volksglauben. Wetterkreuze sollten den „heiligen Berg“ - vormals Sitz der Götter, Geister und Dämonen - besänftigen, sollten Hagel, Blitz und Sturm bannen. 


SPRECHERIN:


Nicht zuletzt auch erinnern Gipfelkreuzgeschichten an wagemutige Bergpioniere. Alte Fotos zeigen diese tollkühnen Erstbegeher, mit ihrer vorsintflutlich aussehenden Bergsteigerkluft: Filzhut und Lodenjacke, dazu Holzschaftpickel und genagelte Schuhe. Ihre Triumphe und Tragödien schrieben Alpingeschichte. 


Musik weg


SPRECHER:


In der Entwicklungsgeschichte des Gipfelkreuzes markiert das Jahr 


1800 eine Art „Quantensprung“. Wird jetzt doch zum ersten Mal auf einem Alpenberg von beträchtlicher Höhe: auf dem 3798 Meter hohen Großglockner, dem höchsten Berg von Österreich, ein mächtiges Gipfelkreuz aufgestellt. 


SPRECHERIN:


Treibende Kraft bei diesem kühnen Projekt ist ein Mann im Bischofsgewand: Franz II. Xaver Altgraf von Salm-Reifferscheidt, Oberhirte der Diözese Gurk. 


SPRECHER:


Eine Zeitenwende bahnt sich damals an in Europa. Nur sechs Jahre noch, und das Heilige Römische Reich Deutscher Nation wird zusammenbrechen. Auch blühen die Wissenschaften auf: es ist das Zeitalter der „Vermessung der Welt“. Und ein säkularer Geist, geprägt von Aufklärung, Rationalismus und Französischer Revolution, hat damit begonnen, die religiösen Autoritäten zu erschüttern. 


SPRECHERIN:


Dieser versinkenden Welt will der couragierte Geistliche eine Art Denkmal setzen. Er finanziert daher die größte Expedition, die es bislang in den Alpen gegeben hat.


Musik darüber


SPRECHER:


Außer ihm nehmen ein Arzt, ein Landvermesser, ein Mineraloge und ein Botaniker an diesem abenteuerlichen Unternehmen Teil. Dazu kommt eine Karawane aus 26 Trägern, nebst Reit- und Packpferden. Auch schleppt man ein ganzes Arsenal von wissenschaftlichen Instrumenten mit.  


SPRECHERIN:


Während die Honoratioren im letzten Hochlager, auf 3454 Metern Höhe, zurückbleiben, kämpfen sich im Juli 1800 fünf einheimische Führer, unter Zuhilfenahme von langen Holzstöcken, Schritt für Schritt, den steilen Gipfelaufbau hinauf. Sie hacken Stufen in die abschüssigen Rinnen aus Schnee und Eis. Spannen Sicherungsseile über halsbrecherische Felspassagen. Tatsächlich gelingt ihnen am Ende die Erstbesteigung des Gipfels. Dort verankern sie das fast vier Meter hohe Kreuz. 


SPRECHER:


Die Einwohner in dem nahegelegenen Dorf Heiligenblut feiern das spektakuläre Ereignis mit Böllerschüssen. 79 Jahre lang wird dieses Kreuz auf dem Großglockner stehen: als „Wächter einer ewigen Ordnung“, wie die Kirche es sieht. Und zugleich als ein Symbol des menschlichen Forschungs- und Eroberungswillens. 


Musik weg


(( 4.O-Ton: 


„Neben dem Kreuz wurde ein überdachter Holzkasten aufgestellt, in dem ein Thermometer und ein Barometer eingeschlossen wurden. Den Schlüssel erhielt der Pfarrer des Dorfes Heiligenblut, mit der Maßgabe, ihn nur an Leute herauszugeben, die am Großglockner Messungen machen wollten.“ 


SPRECHERIN:


Tatsächlich lieferten die Messungen vom Großglocknergipfel vor allem Meteorologen viele wertvolle Erkenntnisse.  ))


SPRECHER:


Erst 1880, anlässlich der Silberhochzeit des österreichischen Kaiserpaares, Franz Joseph und Elisabeth, wird das alte Kreuz durch ein neues, das so genannte „Kaiserkreuz“, ersetzt.


 SPRECHERIN:


Mit dem Großglocknerkreuz ist das Zeitalter der Gipfelkreuze eingeläutet: abertausende solcher G

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Rainer Firmbach