DiscoverRadiowissenDas Recht auf Urlaub - Wie es zur bezahlten Freizeit kam
Das Recht auf Urlaub - Wie es zur bezahlten Freizeit kam

Das Recht auf Urlaub - Wie es zur bezahlten Freizeit kam

Update: 2025-09-08
Share

Description

Sommer ist Urlaubszeit. Aber das Recht auf bezahlte Freizeit zum Ausspannen und Erholen war besonders für Arbeiter und Arbeiterinnen lange die Ausnahme. Vorreiter waren Brauereimitarbeiter in Stuttgart, die sich 1903 einen der ersten Tarifverträge mit einem bezahlten Jahresurlaub erstritten - allerdings nur drei Tage.Autor: Georg Gruber (BR2025)


Credits
Autor/in dieser Folge: Georg Gruber
Regie: Irene Schuck, Christian Baumann, Marlen Reichert 
Es sprachen: Berenike Beschle 
Technik: Monika Gsaenger
Redaktion:  Nicole Ruchlak




Im Interview:




  • Prof. Hasso Spode, Historiker, langjähriger Leiter des „Historischen Archiv Tourismus“ an der TU Berlin

  • Dr. Holger Starke, Historiker für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, im Vorstand der Gesellschaft für Geschichte des Brauwesens (https://ggb-berlin.de/de)






Und noch eine besondere Empfehlung der Redaktion:


Alles Geschichte - Der History-Podcast · URLAUB! Die Erfindung der Ferien · Podcast in der ARD Audiothek



Ferien sind eine wunderbare Zeit, und das Bedürfnis danach ist nur menschlich. Dennoch ist die Idee, sich jedes Jahr einige Wochen Auszeit zu nehmen, ziemlich neu. Vor zweihundert Jahren war sie den Menschen so fremd wie der Gedanke, in einer großen Blechkiste um die Welt zu fliegen. (BR 2017)



Noch mehr Interesse an Geschichte? Dann empfehlen wir:
Alles Geschichte – Der History-Podcast



 Literatur: 




  • Hasso Spode, Traum Zeit Reise, Eine Geschichte des Tourismus, BeBra-Verlag 2025 

  • Hasso Spode, Urlaub Macht Geschichte, Reisen und Tourismus in der DDR, BeBra-Verlag 2022 (Hasso Spode ist der Historiker, der sich am längsten und intensivsten mit der Geschichte des Urlaubs, des Tourismus und des Reisens beschäftigt hat. Er war viele Jahre Leiter des Historischen Archiv zum Tourismus an der TU Berlin)

  • Rüdiger Hachtmann, Tourismus-Geschichte, Vandenhoeck & Ruprecht 2007, (Umfassende kompakte Einführung zum Thema Tourismus mit kurzem Abschnitt über den Aspekt des bezahlten Urlaubs)

  • Jürgen Reulecke, Die Entstehung des Erholungsurlaubs für Arbeiter in Deutschland vor dem ersten Weltkrieg, in: Dieter Langewiesche und Klaus Schönhoven, Arbeiter in Deutschland, Studien zur Lebensweise der Arbeiterschaft im Zeitalter der Industrialisierung, Schöningh-Verlag, 1981, S. 240-268 (Jürgen Reulecke hat sehr genau und detailreich die Geschichte des Urlaubs für Arbeiter bis zum Beginn des ersten Weltkrieges untersucht)

  • Jürgen Reulecke, Vom blauen Montag zum Arbeiterurlaub, Vorgeschichte und Entstehung des Erholungsurlaubs für Arbeiter vor dem ersten Weltkrieg, in:

  • Archiv für Sozialgeschichte 16 (1976).

  • Jürgen Reulecke, Die Anfänge des Erholungsurlaubs für Arbeiter, in: Gewerkschaftliche Monatshefte 31 (1980) S. 716-727

  • Sina Fabian, Geschichte des Reisens, Landeszentrale für politische Bildung Thüringen, 2024 (Eine kurze kompakte Einführung in die Geschichte des Reisens)

  • Christine Keitz, Reisen als Leitbild. Die Entstehung des modernen Massentourismus in Deutschland, dtv 1997. (Lesenswerte Untersuchung über die Ursprünge des Massentourismus)

  • Karl Ihmels, Das Recht auf Urlaub. Sozialgeschichte Rechtsdogmatik Gesetzgebung, Athenäum Verlag 1981, (Eine der wenigen Abhandlungen aus juristischer Perspektive über das Recht auf Urlaub, Promotionsarbeit)

  • Michael Schneider, Streit um Arbeitszeit. Geschichte des Kampfes um Arbeitszeitverkürzung in Deutschland, Bund-Verlag 1984 (Übersicht zum Thema Arbeitszeitverkürzung, mit interessanten Dokumenten im Anhang)

  • Thomas Hofmann, Das Recht der Brauereiarbeiter am Ende des 19. und 20. Jahrhunderts, dargestellt insbesondere am Beispiel der Kulmbacher Brauereien, Verlag Dr. Kovac 2001. (Dissertation über die rechtliche Lage der Brauereiarbeiter, interessant auch mit Bezug auf Bestimmungen zu bezahltem Urlaub)



 


Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.


Radiowissen finden Sie auch in der ARD Audiothek:
ARD Audiothek | Radiowissen
JETZT ENTDECKEN


Das vollständige Manuskript gibt es HIER.


Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:


Sprecherin


Das muss man sich mal vorstellen: Da hat man zum Beispiel monatelang am Bau Zementsäcke geschleppt und Gräben ausgehoben oder in Häusern Rohre verlegt. Und dann geht man mit seinem Urlaubsantrag zum Chef und erfährt: Urlaub? Völlig unnötig. Man habe sich ja bei der Arbeit schon erholt, so von wegen frische Luft und Bewegung. Undenkbar? Nein. Gar nicht. Denn so ähnlich war das früher. Aber der Reihe nach. Urlaub - das war ursprünglich ein Gnadenakt, auf den man keinen Anspruch hatte. Nachzulesen zum Beispiel in einem Universallexikon aus dem Jahr 1747:


 


Zitator


„Urlaub, Orlaub oder Verlaub heißt überhaupt nichts anders als die Erlaubniß, Nachsicht oder Vergünstigung derer Obern, daß ihre Untergebenen etwas thun oder unterlassen mögen, welches diesen sonst nicht frey gestanden hätte.“


 


1. O-Ton Hasso Spode


Erlaubnis bedeutete, sich von dem Hof, also dem Königshof oder vielleicht auch der Truppe für ein paar Tage zu entfernen. Und das machte man nicht aus reinem Vergnügen, sondern hatte man Familienangelegenheiten oder Geschäfte zu erledigen, oder was weiß ich.


 


Sprecherin


Erklärt der Historiker Prof. Hasso Spode, langjähriger Leiter des „Historischen Archivs Tourismus“ an der TU Berlin


 


2. O-Ton Hasso Spode


Urlaub war Erlaubnis, sich irgendwo vom Hof zu entfernen. Aber bezahlt war da gar nichts.


 


Musik 2


"After the Circus" - Komponist: Pawel Mykietyn - Album: EO (Original Motion Picture Soundtrack) - Länge: 0'45


 


Sprecherin


Der Radius der meisten Menschen war lange klein, oft nicht sehr viel weiter als bis zum nächsten Dorf oder zur nächsten Stadt. Weiter herum kamen Kaufleute und Hausierer sowie Handwerksburschen auf der Walz oder Pilger und Pilgerinnen. Zum Vergnügen zu verreisen oder zu Bildungszwecken ist bis ins 19. Jahrhundert ein Privileg des Adels und gehobener bürgerlicher Kreise. Die meisten anderen Menschen konnten sich das Reisen auch finanziell gar nicht leisten. Da sogar höhere Staatsbeamte keinen Urlaub erhielten, wurde es Mode, sich mit einem ärztlichen Attest eine Bäderreise genehmigen zu lassen in Kurorte mit heilenden Thermalquellen, wie Aachen, Wiesbaden oder Baden-Baden.


3. O-Ton Hasso Spode


Da hat dann irgendwann die Reichsregierung, ich glaube es war 1873 kurz nach der Gründung des Kaiserreichs gesagt: Okay, wir machen jetzt Urlaubsregelungen für Beamte reichsweit. Die gab es ab 1873. Und bis zum Ersten Weltkrieg, dann also bis 1914, hatten praktisch alle Beamte Urlaub, und zwar von zwei Wochen, vier Wochen, teilweise sechs Wochen in den höheren Chargen.


 


Sprecherin


Das Beispiel der Reichsbeamten machte Schule, auch Landes- und Gemeindebeamte erhielten bald bezahlten Urlaub, gestaffelt nach Dienstgrad und Lebensalter. Ebenso in Handel und Industrie setzte sich die Idee durch, leitende und mittlere Angestellte so enger an das Unternehmen zu binden - damals wurden sie auch „Privatbeamte“ genannt. Siemens beispielsweise gewährte seinen Angestellten bereits 1873 zwei Wochen Erholungsurlaub, worauf die Arbeiter dort noch 35 Jahre warten mussten. Eine Begründung lautete lange: Arbeiter und Arbeiterinnen brauchen keinen Urlaub.


 


Musik 3


"The Beginning" - Komponist: Pawel Mykietyn - Album: EO (Original Motion


Picture Soundtrack) - Länge: 0'43


 


Zitator


„Es geht viel zu weit, einen Erholungsurlaub für Leute einzuführen, die nur körperlich tätig sind und unter die Gesundheit nicht schädigenden Verhältnissen arbeiten.“


 


 


Sprecherin


Argumentierte etwa die Chemnitzer Handelskammer im Jahr 1906.


 


Zitator


„Für Beamte, die geistig tätig sind und häufig Überstunden arbeiten müssen, die auch keine körperliche Ausarbeitung bei ihrer Tätigkeit haben, erscheint die Erteilung von Erholungsurlaub gerechtfertigt. Für Arbeiter dagegen ist ein solcher Urlaub in der Regel nicht erforderlich. Die Beschäftigung dieser Personen ist eine gesunde. Eine geistige Anstrengung kommt nicht vor, auch von körperlicher Überarbeitung kann man nicht reden.“


 


4. O-Ton Hasso Spode


Sie müssen sich vorstellen, diese Klassengesellschaft im Kaiserreich: Es gab zehn Prozent der Bevölkerung, da hat man gesagt, die haben den weißen Kragen, das sind die, die in den Büros sitzen und dann an die 90 Prozent haben mit den Händen gearbeitet. Die hatten die blauen Kragen. Und diese Kragen-Linie, die zeigt sich wunderbar in der Urlaubsgewährung. Man hatte damals natürlich auch Ärzte, die das legitimiert hatten, dieses Privileg zu verreisen zu dürfen, die ha

Comments 
00:00
00:00
x

0.5x

0.8x

1.0x

1.25x

1.5x

2.0x

3.0x

Sleep Timer

Off

End of Episode

5 Minutes

10 Minutes

15 Minutes

30 Minutes

45 Minutes

60 Minutes

120 Minutes

Das Recht auf Urlaub - Wie es zur bezahlten Freizeit kam

Das Recht auf Urlaub - Wie es zur bezahlten Freizeit kam

Gruber, Georg