Modernes Hebräisch - Wie aus der Sakralsprache Ivrit wurde
Description
Hebräisch ist eine der ältesten und gleichzeitig jüngsten Sprachen der Welt. Über Jahrhunderte als Sakralsprache verwendet, wird sie im 19.Jahrhundert als alltäglichen Umgangssprache wieder belebt. Modernes Hebräisch: Wie aus der Sakralsprache Ivrit wurde. Autorin: Ulrike Beck
Credits
Autorin dieser Folge: Ulrike Beck
Regie: Sabine Kienhöfer
Es sprachen: Hemma Michel, Christian Baumann, Jerzy May
Technik: Roland Böhm
Redaktion: Thomas Morawetz
Im Interview:
Prof. Michael Brenner, Historiker, Inhaber des Lehrstuhls für jüdische Geschichte und Kultur an der LMU München;
Daphna Uriel, Dozentin für Modernes Hebräisch am Lehrstuhl für jüdische Geschichte und Kultur an der LMU München
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ZUM PODCAST
Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.
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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
Musik: C1028320014 Kol Nidrei 1‘12
Zitator
Wenn Moses heute zurückkäme und um ein Stück Brot bäte, verstünde man ihn.
Erzählerin
Das behauptet David Ben Gurion, der erste Ministerpräsident des 1948 gegründeten Staates Israel.
Musikakzent
Erzähler
Hebräisch ist im Laufe des 1.Jahrtausends v. Chr. entstanden - als Sprache, in der die heiligen Schriften des Judentums verfasst wurden. Bis heute ist das Hebräische die globale liturgische Sprache für das Judentum geblieben, die Sprache fürs Gebet.
Erzählerin
Dass diese Sprache als lebendige Sprache die Jahrtausende überdauern wird und erfolgreich ins alltägliche Leben zurückgeholt wird, danach sieht es ab dem zweiten Jahrhundert nach Christus nicht aus.
Denn nachdem die Römer Jerusalem und den Zweiten Tempel bereits zerstört hatten, verhängt 135 n.Chr. Kaiser Hadrian ein Ansiedlungsverbot für Juden in Jerusalem.
Erzähler
Damit beginnt die Zeit des Exils, in der Juden auf der ganzen Welt verstreut leben. Fast zweitausend Jahre lang spricht niemand mehr hebräisch, um ein Brot zu kaufen oder sich zu unterhalten.
Erzählerin
Dennoch stirbt die Sprache nicht aus, sondern wird als Mittelhebräisch von gebildeten Juden weiterhin benutzt. Wie der Historiker Michael Brenner erklärt. Er ist Inhaber des Lehrstuhls für jüdische Geschichte und Kultur an der LMU München:
1.O-Ton (Brenner ab 2:16 )
Hebräisch war eine Sprache, die im Alltag durchaus vorhanden war, aber eben zum einen im Gebet und zum anderen im Studium. (…) Und so muss man sich vorstellen, dass viele Juden über viele Jahrhunderte hinweg - und das betrifft vor allem die Männer, weil die studiert haben - durchaus mit dem Hebräischen vertraut waren. Und das sieht man auch daran, dass sich auch im Mittelalter manchmal Juden, die auf der einen Seite in Ägypten und dann in Polen lebten oder sagen wir mal in Deutschland lebten, dass die sich auch Geschäftsbriefe auf Hebräisch schreiben konnten. Wenn das die einzige Sprache war, die sie miteinander verband.
Erzähler
In der Zeit der Diaspora beginnen Juden in den jeweiligen Ländern des Exils neue Sprachen zu entwickeln. Die bekannteste davon ist Jiddisch.
2.O-Ton (Brenner ab ca. 5:00 )
Das heißt, der Großteil der Juden etwa um 1900 sprach Jiddisch, denn die meisten Juden lebten in Osteuropa. Ihre Wurzeln waren aber in Deutschland, und man nahm sozusagen bei der Vertreibung aus den deutschen Territorien am Ende des Mittelalters zu Beginn der Neuzeit die deutsche Sprache mit. Aber sie blieb auf dem Stand des etwa vierzehnten, fünfzehnten Jahrhunderts stehen und entwickelte sich weiter, aber mit dem eben Einsprengseln Hebräisch und slawische Sprachen, sodass die jiddische Sprache entstand, die auch in hebräischen Buchstaben geschrieben wird.
Erzählerin
Ähnlich ist es mit den Juden, die am Ende des fünfzehnten Jahrhunderts aus Spanien und Portugal vertrieben werden und sich in Nordafrika, in der heutigen Türkei oder auf dem Balkan niederlassen. Auch sie entwickeln eine eigene Sprache: das Judäo-Spanisch bzw. Ladino.
Musik: Z8015143113 Julitschka 1‘07
Erzähler
Die Idee, die hebräische Sprache neu zu beleben, entsteht in der Zeit der Aufklärung. Bereits 1771 beginnt der deutsch-jüdische Philosoph Moses Mendelssohn in Berlin, die Psalmen und die fünf Bücher Mose ins Deutsche zu übersetzen.
Erzählerin
Mendelssohn besteht darauf, dass seine Übersetzung der Tora ab 1780 auch in hebräischen Buchstaben gedruckt und ausführlich auf Hebräisch kommentiert wird. Wenige Jahre später legen Mendelssohns Schüler den Grundstein für eine säkulare Dichtung auf Hebräisch. Indem sie die erste kontinuierlich erscheinende Zeitschrift gründen, die unter dem Titel „Hameassef“, „Der Sammler“ in Berlin und Königsberg erscheint.
Musikakzent
Erzähler
Dass Hebräisch nicht nur die Zweit- oder Drittsprache von gebildeten jüdischen Männern bleibt, das macht sich der Sprachwissenschaftler Eliezer Ben Yehuda ein Jahrhundert später zur Lebensaufgabe. Er gilt als der Vater des modernen Hebräisch, dem Ivrit.
Musikakzent
Erzählerin
1858 im russischen Zarenreich, im heutigen Litauen als Eliezer Perlman geboren, begeistert er sich schon während seiner Schulzeit für jüdische Aufklärungsliteratur. Die er auf Hebräisch liest. Bald benennt er sich um in Eliezer Ben Yehuda. Neben seiner Liebe zur jüdischen Literatur und Sprache begeistert ihn der aufkommende Zionismus.
Erzähler
Also der jüdische Nationalismus, der davon ausgeht, dass die Juden nicht nur eine religiöse Gemeinschaft sind, sondern auch eine politische. Und insofern genau wie andere Völker auch den Anspruch haben, einen eigenen Staat zu bilden.
Erzählerin
Die Frage nach einer eigenen Nation wird 1881 nach dem Attentat auf den russischen Zaren Alexander II. existentiell. Denn die Schuld an dem Attentat wird „den Juden“ angelastet. In der Folge kommt es ab 1881 zu einer Welle von Pogromen in Russland und Polen.
Musik: C1028320025 Der jiddische Fidler 0‘33
Erzähler
Eliezer Ben-Yehuda ist einer der ersten von rund 30.000 osteuropäischen Juden, die wegen der antisemitischen Übergriffe in Russland und Polen mit der sogenannten ersten Aliyah nach Palästina auswandern.
Erzählerin
1881 verlässt er Russland und lässt sich in Jerusalem nieder. Angetrieben von seinem Ziel: Ivrit, also ein modernes Hebräisch, als Umgangssprache für das Leben in einem neuen säkularen jüdischen Staat zu etablieren.
3.O-Ton (Brenner ab 6:16 )
Eliezer Ben Yehuda war ein Hebräisch Enthusiast und ein früher Zionist, der sagte: Wir sollten uns in unserer alten Heimat wieder ansiedeln, vor allem auch, weil wir dazu gezwungen werden aufgrund des Antisemitismus, der Pogrome in Russland. Und der sagte wir brauchen auch unsere alte Sprache wieder. Und zwar nicht nur als Sprache fürs Studium und als Sprache für das Gebet, sondern als gesprochene Sprache. Und er machte sich daran, ein hebräisches Lexikon zu schreiben und die hebräische Sprache in dem Sinn wiederzubeleben, dass er eben Ausdrücke kreierte, die im modernen Hebräisch nicht existierten. Denn viele Begriffe des neunzehnten Jahrhunderts existierten natürlich in der Bibel und demnach im biblischen Hebräisch nicht. Also musste man diese Begriffe neu